Vom Werden und Vergehen organischer Körper.
Von Professor Dr, W, Küster,
Antrittsvorlesung an der K. Techn. Hochschule zu Stuttgart
am 26, Januar 1915,
Die Untersuchungen von LAvorsıer hatten gelehrt, daß alle Sub-
stanzen vegetabilischer oder animalischer Abstammung Kohlenstoff
enthalten, alle späteren Analysen hatten diese Erfahrung bestätigt,
aber erst August KEKULE wagte es, die organische Chemie als die Chemie
des Kohlenstoffs zu definieren. ;
Von dieser Definition abzuweichen haben wir keinen Grund,
ziehen vielmehr mit H. Korse den Schluß, daß die ganze Welt der
organischen Verbindungen sich von einem. gemeinsamen Urkörper,
der Kohlensäure, ableiten lassen muß und erblicken den Ursprung
in dem großartigsten Prozeß, der sich auf Erden, und zwar in den
grünen Teilen unserer Pflanzen, abspielt und den als „Assimilation“
zu bezeichnen wir uns gewöhnt haben.
Er ist auch für die Menschheit von allergrößter Bedeutung
nicht nur im materiellen Sinne, insofern er die für die Ernährung
der Menschen notwendigen Stoffe liefert, die Kenntnis seines Wesens,
also seines Chemismus, bedeutet auch eine so handgreifliche Ver-
mehrung unseres geistigen Besitztums und birgt eine solche Macht-
erweiterung über das Geschehen auf Erden in sich, daß wir die uns
hier gewordene Aufklärung füglich zu den schönsten Errungenschaften
des schaffenden Menschengeistes rechnen dürfen. Und wer nun die
langsame Entwicklung der Dinge an der Hand der Geschichte be-
greifen gelernt hat, wird sich nicht wundern, daß die Aufklärung
des Chemismus der Vorgänge bei der Assimilation erst in langen
Jahren herbeigeführt wurde. Selbstverständlich fußten auch diese
Arbeiten auf dem Erkennen früherer Jahrhunderte und dann nament-
lich auf den rasch aufeinanderfolgenden Entdeckungen im Gebiete
der einfachen Gase und ihres chemischen Verhaltens, die uns in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im Anfang ‘des 19. ge-
worden ist.