Pflanzenwanderungen auf weite Strecken.
Von Karl Bertsch in Ravensburg,
Im freien Wettbewerb der Arten pflegen sich die Pflanzen nicht
weit von ihrem Standort zu entfernen. Die allermeisten Samen
werden in der näheren Umgebung der Mutterpflanze wieder ausgesät,
wo sie unter günstigen Umständen aufgehen und neue Stöcke bilden.
Ausnahmsweise können aber die Samen auch auf weite Strecken
verbreitet werden, und wenn sie zufällig die zu ihrem Gedeihen
nötigen Bedingungen vorfinden, können sie zur Gründung neuer
Kolonien im fremden Gebiete führen, die sich dann schrittweise
wieder vergrößern. Im allgemeinen ist es aber schwierig, in der
freien Natur diese Veränderungen zu verfolgen und von Jahr zu
Jahr die einzelnen Etappen mit Sicherheit festzustellen. . .
Ein günstiges Feld bietet in dieser Hinsicht das Neuland im
Gebiet einer wohlbekannten Lokalflora, und hier können besondere
Umstände sogar die Feststellung größerer Sprünge ermöglichen.
Solches Neuland bilden einige, Kiesgruben bei Mengen. Sie wurden
beim Bahnbau in den Jahren 1867—1869 ausgehoben und nach 1870
wieder sich selbst überlassen. Aus den zahlreichen Arten, die sich
seither hier zusammengefunden haben, möchte ich drei herausgreifen:
Eptilobium Dodonaei, E. Fleischeri und Anacamptis pyramidalis,
Epilobium Fleischeri hat hier auf einem viele Quadratmeter fassen-
den Gebiet die unbedingte Herrschaft, und um dasselbe herum zieht
sich in großem Halbkreis ein Kranz von kleineren Rasen, die nach
außen an Größe abnehmen. Dieses Gebiet liegt im hintersten, am
wenigsten betretenen Teil der Grube. In der Mitte derselben stehen
zerstreut die viel größeren, mächtigeren Büsche des E. Dodonaei,
das vereinzelte Gruppen bis dicht an die letzten Posten des
E. Fleischeri schickt. Von 1905 bis 1913 habe ich jedes Jahr die
Pflanzen in ihrer ganzen Entwicklung verfolgt. Aber schon vorher
wurden sie von Hauptlehrer BRETZLER seit 1883 beobachtet. Sie sind
also in der Zeit zwischen 1870 und 1883 eingewandert.
Um zufällige Verschleppungen kann es sich nicht handeln, da
die Pflanzen keine Kulturbegleiter sind, sondern frische, humusarme
Böden aufsuchen. Ihre Hauptstationen sind die Geröllfluren der