Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 76, 1920)

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handelt, beweisen neuere Erfahrungen an Polypterus, der, an der Luft- 
aufnahme verhindert, in 2—3 Stunden zugrunde geht, einen 24-stündigen 
Aufenthalt außerhalb des Wassers aber gut verträgt. Merkwürdig ist 
endlich die Umbildung des Magens in einen der Luftatmung dienenden 
Blindsack bei gewissen Panzerwelsen (Otocinctus, Plecostomus) und die 
Übernahme der Luftatmung durch den Mitteldarm bei den einheimischen 
Schmerlen und gewissen tropischen Welsen und Symbranchiden. 
Während typischerweise das Herz der Fische aus den Körpervenen 
nur sauerstoffarmes Blut erhält und dieses zu den Kiemen entsendet, 
von wo es sauerstoffreich durch die Aorta zu den Organen gelangt, 
empfängt es bei fast allen luftatmenden Fischen (Ausnahmen: Sacco- 
hranchus und Clarias) auch oxygenisiertes Blut durch Venen unmittel- 
bar aus den akzessorischen Atmungsorganen und entsendet also gemischtes 
Blut zu den Kiemen. Insbesondere wird das der Fall sein, wenn der 
Fisch sich in irrespirablem Wasser oder an der Luft befindet, oder wenn 
die Kiemen überhaupt weitgehend verkümmert sind'( Amphipnous), jeden- 
falls wenn der Luftatmungsapparat gegenüber den Kiemen überwiegend 
oder allein in Funktion tritt. Ein weiterer Schritt zur Herstellung eines 
doppelten Blutkreislaufs ist bei dem Schwimmblasenatmer Gymnarchus 
geschehen, wo das oxygenisierte Blut aus der Schwimmblasenvene im 
Herzen vom Körperblut gesondert bleibt und allein durch die Gefäße 
der beiden vorderen Kiemenbögen der Aorta zugeleitet wird, während 
durch die beiden hinteren das sauerstoffarme Körperblut zur Schwimm- 
blase strömt. Dies bedeutet eine weitgehende Analogie mit den bei 
Dipnoern und Amphibien bestehenden Zuständen. 
Die Amphibien selbst stellen ein merkwürdiges Zwischenreich 
unter den Wirbeltieren dar. Erwachsen meist Lungenatmer, besitzen 
sie in der Jugend fast stets auch funktionierende Kiemen. Luftwege 
und Lungen bleiben aber auf niederer Stufe. Viele Schwanzlurche bleiben 
zeitlebens Kiemenatmer; bei ihnen dient die Lunge nur noch als eine 
Art Schwimmblase. Gerade ausgesprochene Landsalamander haben viel- 
fach die Lunge ganz eingebüßt, und selbst bei den Fröschen wird ein 
beträchtlicher Teil des Sauerstoffbedürfnisses durch Hautatmung gedeckt. 
So spricht sich hier in der Gestaltung wie in der Lebensweise ein selt- 
sam labiler, den Besitz der höheren wie der niederen Wirbeltiere ver- 
knüpfender Zustand aus, bei dem aber weder die typischen Organe der 
Luftatmung, die Lungen, noch die Kiemen zu voller Ausbildung und 
Leistungsfähigkeit gelangen. . 
Säugetiere dagegen genügen, auch wenn sie wie Fische leben, den 
abnormen Anforderungen nur durch besondere Ausbildung ihres ureigenen 
Besitzes. Und echte Fische werden Landbewohner und Luftatmer eben- 
falls nur vermöge von Einrichtungen, die sich auf der typischen Fisch- 
organisation aufbauen: ein Überschreiten der typischen Veranlagung 
findet nirgends statt. Darin zeigen sich Gesetze der Gestaltung, an 
welche die Lebensweise nicht zu rühren vermag. Anpassung schafft 
nicht konstitutiv Neues, sondern arbeitet ausschließlich mit Steigern und 
Unterdrücken, durch Umgestaltung der gleichen bauplanmäßigen Bestand- 
teile. Viele auf den ersten Blick befremdende Erzeugnisse der Anpassung
	        

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