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so ist diese der einzige Gegenstand Ihrer Aufmerksamkeit und
Rücksicht. Ich trete zurück und bin an diesem Tage nicht mehr
als alle anderen. Sie halten die Anrede und gehen mit meiner
Mutter umher, zeigen und erklären ihr alles; Fräulein v. Baer
wird Sie begleiten.“
Alle Angestellten versammelten sich an der Treppe, der
Elternausschuss an der Spitze der Spalierreihen. Rektor Zoller
begrüsste den Eintritt Ihrer Majestät mit einer der hohen Person
und der Sache angepassten Anrede, welche die Kaiserin aufmerk-
sam entgegennahm und mit gewandter Fertigkeit, jedem Punkte
folgend, beantwortete. „Ich komme,“ sagte sie unter anderem,
„nach einer langen Reihe von Jahren wieder in mein Vaterland
und freue mich, meine Tochter in einem neuen und so schönen
Wirkungskreis zu finden. Ich bin glücklich, sie glücklich, ge-
achtet, geliebt, mit dem Vertrauen so vieler belohnt, von solchen
Männern und Frauen unterstützt zu sehen. Volles Wohlgefallen
gewährt es mir in hohem Masse, dass ich überall, wohin ich trete,
wahrnehmen darf, dass sie durch Wirken und Schaffen ihren
Beruf zu erfüllen sucht. Ich werde mit Aufmerksamkeit sehen
and hören, was Sie mir zeigen und erklären werden.“
Die Königin stellte die Versammelten ihrer Mutter mit ehr-
erbietiger Freundlichkeit vor und trat dann zurück. Der Rektor
zing der Kaiserin zur Seite, und da sie eine grosse und genaue
Bekanntschaft mit Anstalten dieser Art zeigte und ihn über
alle Gegenstände der Schule, die Zwecke, die Lehrmittel, die
Stände, denen die Schülerinnen angehörten, voll Teilnahme und
Interesse befragte, so hatte er reiche Gelegenheit zu Mitteilungen.
Nur der enge Raum erschien der Kaiserin bedenklich, und mehr-
mals rief sie aus: 'Trop serr6, trop serre! Sonst aber gefiel ihr
alles, vorzüglich die Ordnung und der äussere Anstand, und sie
sprach es wiederholt aus, dass ihr die Schöpfung ihrer Tochter
sehr willkommen und angenehm sei. Die Königin, die, sehr acht-
sam auf alles, zunächst hinter ihrer Mutter ging, warf nur von
Zeit zu Zeit bei einzelnen Anlässen einige Worte dazwischen.
Die Kaiserin wandte sich auch an einzelne von der Begleitung
und Umgebung und schied unter freundlichen Aeusserungen ihres
Beifalls und ihrer guten Wünsche.
Es möge gestattet sein, hier in Kürze mitzuteilen, wie sich
die Königin Olga Nikolajewna im Jahre 1889 bei einer aus An-
jass der Herausgabe einer Lebensbeschreibung der Königin
Katharina gewährten Audienz dem Verfasser gegenüber über