ALFRED DÖBLIN
Vieles ist furchtbar, nichts furchtbarer
als der Mensch, Sophokles.
Döblin ist Berliner. Und er ist so sehr Berliner, daß ihn die
Schweiz und das Hochgebirge heimwehkrank machen nach
dem Straßen- und Menschengedränge, nach den bitteren
Kämpfen ums Dasein mit einer harten Natur und härteren
Menschen. Wenn ganz Europa ein Beispiel dafür ist, was
der Mensch in mühseliger Arbeit aus der Erde und was Müh-
sal und Arbeit aus dem Menschen machen kann, so ist Berlin
die allereuropäischste Stadt.
Hier ist alles der Natur zum Trotz geworden. Dieses Land
der Sandwüsten, Kieferneinöden und Flußsümpfe scheint be-
stimmt, wenig Menschen ein stilles und ärmliches Leben zu
gewähren, ein Durchgangsland zu werden für den Osten, der
hier seine Waren westwärts verfrachten kann. Aber dies
Land des Uebergangs und Durchgangs hat sich gewaltsam
zum Mittelpunkt Deutschlands gemacht und zum Mittel-
punkt Europas machen wollen. Was für Rom und Paris, für
Wien und Konstantinopel, wie für alle großen Hauptstädte
des Kontinents ein freundlicher Himmel, eine fruchtbare Erde
und der sanfte Wandel der Jahrhunderte schufen, das hat
dieser Parvenu unter den Hauptstädten in harter Arbeit, mit
Lärm und Gewalttat in ein paar Jahrzehnten zusammenge-
rafft: Paläste und Parks, Straßen und Kanäle, Eisenbahnnetze
und Fabriken und seine Millionen Einwohner. All das auf
einem Wüstenland und unter einem kalten Himmel. Es ist
ein ungeheuerlicher babylonischer Turmbau. Und die Men-
schen sind unter diesem Bau zu den zähen, rücksichtslosen,
großsprecherischen und gewalttätigen Arbeitssklaven ge-
worden, die wir alle kennen.
Wenn irgendwo ein Kampf ausbräche gegen die Arbeit
unserer Zeit, gegen die Technik, gegen die Maschinen, so
wäre Berlin der Ort für diesen Kampf, weil Berlin nur
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