Full text: Für Bauplatz und Werkstatt / Mitteilungen der Kgl. Württemberg. Beratungsstelle für das Baugewerbe (Jg. 1911, Bd. 6, Heft 1/12)

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Grundriß zu einem Friedhof-Eingang. Vorschlag der Beratungsstelle für das Baugewerbe. 
mit an erster Stelle die „Kulturarbeiten“ von Professor 
Schultze- Naumburg. Durch seinen wiederholten hinweis auf 
den Zeitpunkt, wo die gute alte Bautradition verlassen 
wurde und wo demnach wieder anzuknüpfen sei, hat er 
für die weitesten Kreise richtunggebend gewirkt. Wie jede 
Zeit, so hat auch die von ihm als Vorbild empfohlene ihre 
stilistischen Eigenschaften, an denen man sie erkennt und 
für die gar bald das bequeme Schlagwort „Biedermeier“ 
gefunden war. Für eine gesunde Weiterentwicklung ist aber 
nichts gefährlicher als solch ein Schlagwort, denn es führt 
zur Oberflächlichkeit. Statt nun das, was uns mit jener Zeit 
verbindet, die bis zur Wohnlichkeit gesteigerte Sachlichkeit 
nämlich zu pflegen und im modernen Sinne weiterzubilden, 
zefällt sich die breite Masse nur allzugern in einer platten 
Nachahmung von äußerlichkeiten, in der „Biedermeierei“. 
Als eine solche Biedermeierei erscheint uns sehr häufig 
das Mansarddach. Die meisten unter den der Beratungs-⸗ 
stelle zur Begutachtung eingeschickten Entwürfen, die 
gegenüber gewöhnlichen „Brandkassenkisten“ eine gewisse 
Ciebe der Durchbildung verraten, zeigen ein Mansard—⸗ 
dach. Ohne Mansarddach scheint man kein gemütliches 
haus sich denken zu können. Eine Betrachtung aber 
dessen, was man von alters her auch ohne diese Dach— 
form an wohnlichen hHäusern gebaut hat und eine Über— 
legung, worin die Vorzüge und worin die Nachteile des 
Mansarddaches liegen, wird bald zu der Überzeugung 
führen, daß es für das deutsche Kleinwohnhaus durch— 
aus nicht immer die passendste Dachform ist und als 
vorübergehende Mode höchstwahrscheinlich auch wieder 
etwas verschwinden wird. 
Der Ursprung des Mansarddaches weist nach Frank— 
reich, wo ihm bei seinem erstmaligen Vorbommen an 
den großen Schlössern der Barockzeit eine mehr archi— 
tektonische als praktische Bedeutung zukommt. Jedenfalls 
ist es auch in Deutschland in der Zeit seiner Übernahme, 
also in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts, mehr 
als Zierform aufgefaßt worden denn als Nutzform. 
Das beweist die Tatsache, daß selbst bis auf die 
Dörfer hinaus es immer nur die bedeutenderen Gebäude 
waren, denen man ein Mansarddach aufsetzte. Bezeichnend 
ist auch, daß man nur untergeordnete Räume in das Dach 
selbst verlegte. 
Vergleicht man nun, wie und wo man heute das 
Mansarddach anwendet, so fällt uns auf, daß man es 
vielen Häusern nur aus dem Wunsch heraus aufsetzt, 
möglichst viel Räume in das Dach selbst verlegen zu können. 
Wie manches Haus birgt nicht in seinem Mansardgeschoß 
zgenau dieselben Räume wie die übhrigen vollausgebauten 
Heschosse! Davon abgesehen nun, daß das Mansarddach 
igentlich nur auf langgestreckten Häusern gut wirkt und 
s schon aus diesem Grunde auf unseren hochgeschossenen 
zinshäusern meist viel zu schwer drückt, somit sein eigentlicher 
zweck als Sierform fast durchweg verfehlt ist, so ist es 
iber auch mit seiner praktischen Brauchbarkeit in diesem 
Fall schlecht bestellt. Seiner Form nach ermöglicht es zwar 
»en weitgehendsten Ausbau des Daches. Aber die schiefen 
Vände des Unterdaches sind zu leicht den Angriffen des 
Vetters ausgesetzt, als daß nicht bei einem Defekt der 
)achhaut die Feuchtigkeit durchdringen sollte. Das allein 
hon bedingt eine ganz besonders tüchtige Konstruktion. 
limmt man nun hinzu, daß auch die Fenster, die das 
)ach durchstoßen, wunde Punkte darstellen, die ohne kost⸗ 
pielige Blechverwahrungen keine Dauerhaftigkeit ver—⸗ 
ürgen, so wird klar sein, daß ein ausgebautes Mansard⸗ 
geschoß sehr leicht eine ziemlich teure und häufig auch un⸗— 
chöne Sache ist, der gegenüber in vielen Fällen ein ein—⸗ 
ach aufgesetztes Fachwerksgeschoß mit geraden Wänden 
ziel vernünftiger und ehrlicher erscheint. 
Ohne also die Schönheit des Mansarddaches zu ver— 
zennen, wenn es recht angewendet ist, ohne auch die Vor⸗ 
süge zu übersehen, die namentlich in der leichten Ausbau— 
noͤglichkeit liegen, möchten wir doch aus oben erwähnten 
hrunden warnen, i mogichteit zu sirtn E3 
57 F ie Türe, die wir heute nach einer 
Haustüre. — Aufnahme aus michelbach Oa Gail- 
»orf wiedergeben, soll ein Beispiel aus der guten alten Zeit 
ind ein technisches Vorbild zugleich sein. Was wir daran 
ernen können, ist, wie vielfach bei derartigen Erzeugnissen 
ilter handwerklicher Kunst, die Selbstverständlichkeit, mit 
er hier die einfachsten Mittel etwas Brauchbares und 
zchönes zugleich ergeben. Die Schönheit solcher Türen, 
vie wir sie auch heute noch gar nicht selten im Lande 
yorfinden, liegt außerdem in der kräftigen Art ihrer 
(onstruktions⸗ und Zierglieder. Wesentlich gesteigert aber, 
vas im Bilde wiederzugeben wir leider nicht in der Lage 
ind, wird diese Schönheit durch die Farbe. Meist ist es 
in im Verlauf der Jahre nachgedunkeltes kräftiges Schwarz⸗ 
»raun, auf dem das Gold der Messingbeschläge als treff⸗ 
icher Schmuck wirkt. Ab und zu sieht man einen außer— 
rdentlich sonnigen und lustigen Eindruck erzielt durch einen 
pangrünen Anstrich. Rahmt sich dann noch um eine solche 
Türe ein kräftiger Kebstock, der mit seinem Schatten hell 
ind Dunkel auf die Türe zeichnet und blitzt das Messing 
zecht in der Sonne, dann haben wir das Bild einladender 
Hastlichkeit, wie es unsere neuen haustüren uns leider so 
elten mehr bieten. 
9.
	        
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