Full text: Bauplatz und Werkstatt / Monats-Zeitschrift der Staatlichen Beratungsstelle für das Baugewerbe (Jg. 1936, Bd. 31. Heft 1/2)

ZEITGEMÄSSE FORDERUNGEN AN DAS SIEDLUNGSWESEN 
4. Fortsetung 
Abb. 14. 
ALTES STUTTGARTER RAT- 
HAUS mit Marktplat 1455-1901 
Ma dem Auffinden von Gesegen, die dem Wesen einer Erscheinung eigen sind, 
<önnte die Befürchtung auftauchen, als ob solche Gesete das künstlerische Schaf- 
ien des Architekten einengen wollten. Auf den ersten Blick will es so scheinen. 
Was aber heute als Wissen aufgenommen wird, kann schon in einer verhältnis- 
mäßig kurzen Zeit so den ganzen Menschen erfüllt haben, daß es als gestaltende 
Zraft z.B. bei der Raumordnung einer Siedlung in Erscheinung tritt. Wir leben 
ia alle in einer Verbundenheit mit „Blut und Boden”, die viel stärker ist, viel tiefer 
ınd weiter reicht, als uns zum Bewußtsein kommt. Unser Kopf, unsere Intelligenz 
drängt dieses Bewußtsein zurück, um sich allein geltend zu machen. Diesem Kampf 
sind wir gegenwärtig ausgesett. Daß es eine Architektur geben kann, die aus 
den Gemüts- und Willenskräften eines Volkes heraus geboren wird, zeigt uns 
die Baukunst früherer Zeiten. Daß aber auch eine Architektur allein aus den 
Zräften des Intellektes möglich ist, können wir an den Bauten der legten Jahr- 
zehnte ablesen. Mit dem Wunsch und Willen nach einer Änderung und Ab- 
Ösung des Intellektualismus ist es noch nicht getan. Darin liegen die Schwierig- 
zeiten unserer Zeit. Sie zeigen sich im Architektonischen besonders stark. In 
seinem Gebundensein an das Abstrakte erkennen wir den Grund hiefür. Spricht 
man z.B.vom Kreis als einem Gestaltungsprinzip, so kann man von der abstrakten 
Linie desselben bis zu seiner Anwendung im Gemeinschaftsbildenden den 
großen Weg erblicken, der stets begangen werden muß, wenn ein Gedanke sich 
um Verwirklichung müht. Dann wird seine Anwendung als Gemeinschalts- 
bildendes in solchen Raumanordnungen zum Ausdruck kommen, die weder die 
Regelmäßigkeit noch das Aussehen eines Kreises aufzuzeigen brauchen. Anderer- 
zeits ist es aber auch nicht notwendig selbst vor einer ausgesprochenen Kreis- 
anlage zurückzuschrecken. Denn so sehr man sich bei einer solchen Kreisanlage 
abgeschlossen fühlen wird, so wenig wird diese Abschliesung vom Leben
	        
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