VI. Der Investiturstreit
Die mit so reinem Wollen begonnene Reformbewegung der Clunia⸗
zenser brachte, in ihre äußersten Folgerungen getrieben, dem Reich
und den deutschen Kirchen, die fast über das Maß hinaus Güter und
Hoheitsrechte erworben hatten, viel Verwirrung und großes Unheil!).
Auf der Fastensynode des Jahres 1075 hatte Gregor VII. dem deut—
schen Königtum die Investitur der Bistümer und Reichsabteien ent—
zogen und ihm damit eines seiner gewichtigsten Machtmittel geraubt.
Heinrich IV. konnte und durfte auf dieses von den Königen seit
Jahrhunderten geübte Recht nicht ohne weiteres verzichten. Als er sich
nicht fügte, stellte ihm der Papst zu Ende des Jahrs Kirchenbann und
Absetzung in Aussicht, wenn er noch weiter im Ungehorsam verharre.
Heinrich erhielt das Schreiben am Neujahrstag 1076; leidenschaftlich
empört über die unerhörte Drohung rief er sofort die deutschen Bischöfe
zusammen und ließ durch sie Gregor VII. absetzen: dieser sei wegen
seiner regelwidrigen Erhebung in Wirklichkeit überhaupt nie recht—
mäßiger Papst gewesen. 26 Bischöfe des Reichs kündigten Gregor den
Gehorsam auf. Graf Eberhard von Nellenburg, der vertraute Ratgeber
des Königs, sowie die Bischöfe Huzmann von Speyer und Burkhard
von Basel wurden nach Italien gesandt: eine von ihnen veranlaßte
Versammlung der oberitalischen Bischöfe zu Piacenza sagte dem Papst
ebenfalls ab. Als Antwort ließ Gregor auf der Fastensynode des Jahrs
1076 den Bannfluch über Heinrich verkünden: er entsetzte ihn des
Reichs und entband die Untertanen des Treueids. Solches Handeln er⸗
klärte sich aus dem ihn beherrschenden Leitgedanken eines über allen
weltlichen Mächten stehenden Papfttums. Und nun erwies es sich, daß
die deutschen Fürsten, die das Trachten des Königs, die Geltung der
Krone zu behaupten und zu steigern, schon seit Jahren bekämpft hat—
ten, den Zwiespalt für ihre Sonderzwecke auszubeuten suchten; die
Herzöge Rudolf von Schwaben, Bertold von Kärnten und Welf von
Bayern traten ins Einverständnis mit Heinrichs kirchlichen Gegnern.
Die Bischöfe suchte Gregor durch geschickte, zwischen Milde und Strenge
wechselnde Behandlung mürbe zu machen und Heinrich zu entfremden.
Die päpstlich Gesinnten schlossen sich mit den süddeutschen Fürsten und
den im vorigen Jahre niedergeworfenen Sachsen zusammen; ein von
1) Gerold Meyer von Knonau, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich W.
und Heinrich V. (Jahrbücher der deutschen Geschichte) IIf-VII, 1894-1909; hier sind auch
meist wörtlich die Quellenstellen angeführt.