Religiöse Vorstellungen
in der Natur. Sie, die Begleiterin des Menschen auf seiner Lebens—
fahrt, setzt als dessen zweites Ich nach dem Tode sich in der Welt noch
fort. Die große Schar der Seelen weht in der bewegten Luft weiter,
zeigt sich besonders zu gewissen Zeiten, hat aber häufig ihren Wohn—
ort in Bergen, aus denen sie kommt und in die sie zurückkehrt, oder
im Innern der Erde; manche Seelen irren unstät umher und suchen
immer wieder mit dem Leib in Verbindung zu gelangen: sie erschei—
nen, bald sichtbar, bald unsichtbar, als Wiedergänger, als Gespenster,
und wollen den Lebenden schaden. Furcht vor den Toten, aber auch
Liebe und Hochachtung, die man einst den Lebenden zollte, und beson—
ders ein Gefühl der gesteigerten magischen Kräfte der Abgeschiedenen,
führen zu ihrer Verehrung. Man gibt ihnen darum mit, was sie hier
im menschlichen Dasein gebraucht haben, damit ihre Seelen den Über—
lebenden hold bleiben. UÜUbrigens vermag man sie durch Totenbeschwö—
rung zurückzurufen.
Aber gleichzeitig, und zum Teil schon aus der gemeinsamen Zeit der
Indogermanen stammend, ist der Kult von Göttern. Die Ger—
manen kannten den mächtigen Licht- und Himmelsgott Tiwaz (Ziu),
der bei dem streitbaren Volke zum Kriegsgott wurde, und seine Ge—
mahlin, die Erdgöttin Freia, einen Gott des Gewitters, Donar, auch
einen Wind⸗ und Totengott, Wodan; außerdem gab es noch andere
Götter oder Göttinnen, die bei diesen oder jenen Stämmen oder auch
allgemein verehrt wurden. Diese Gottheiten erhoben sich mit der Zu—
nahme der Gesittung und Bildung wie bei den andern indogerma—
nischen Völkern auch zu sittlichen Mächten, zu Bringern und Trägern
der Kultur: man dachte sie sich als gegenwärtig, wenn an den Ding—
stätten Recht gesprochen wurde; mit ihrer Hilfe fing man jede Unter—
nehmung an. Die germanischen Völkerschaften vereinigten sich zu
Kultverbänden, in denen gemeinsam eine Gottheit verehrt wurde, bei
den Sueben der Himmelsgott Ziu. Diese kamen zur bestimmten Zeit
im Gebiet ihrer ältesten und angesehensten Völkerschaft, der Sem—
nonen, zusammen: hier war ihr vornehmstes Heiligtum, der heilige
Hain. Man begann das Fest mit einem Menschenopfer; den der Gott—
heit geweihten Raum durfte man nur gefesselt betreten, indem man
sich so gleichsam völlig in deren Gewalt begab)).
Eine Stätte der Verehrung der Dämonen, der abgeschiedenen Gei—
ster, der Götter, war ursprünglich überall da, wo man das Walten
der höheren Wesen wahrzunehmen glaubte. Man opferte den Bäu—
men und Wäldern, den Gewässern, den Bergen. Es gab auch Prie—
ster, die für die Volksgemeinde zu opfern und den Willen der Gott—
heit zu befragen, aber auch des Gesetzes zu walten und Strafen zu er—
—— Germania c. 39: regnator omnium deus.
Acew!
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