VIII. Schriftstellerische und künstlerische Tütigkeit
während des Investiturstreits
Die Jugend des deutschen Adels lernte Lesen und Schreiben mit der
lateinischen Sprache nur, wenn sie zum geistlichen Berufe bestimmt
war; alle schriftlichen Aufzeichnungen, auch die geschichtlichen, haben
darum bis weit ins 12. Jahrhundert hinein Geistliche zu Verfassern.
Nun aber brachte der immer fanatischer werdende Glaubenseifer,
der während der Kampffjahrzehnte in den gregorianischen Klöstern
herrschte, eine starke Verengung des geistigen Blickfelds mit sich: die
strenge Richtung zeigte sich den Wissenschaften abhold und schätzte eine
höhere geistige Bildung überhaupt wenig: für ein weltliches, von einem
Heiden verfaßtes Buch hatte ihre Zeichensprache die Bewegung
des Hundes, der sich hinter dem Ohr kratzt')). Auch einer tendenzlosen
Geschichtschreibung war sie ungünstig, wie denn überhaupt mit der
Vorherrschaft dogmatischen Sinns sich gerne ein Mangel an geschicht—
lichem Verständnis verbindet. Immerhin hatte Abt Wilhelhm von
St. Emmeram eine reiche Bildung mitgebracht. In einem Werke, das
dem Bischof Ellenhard von Freising (10521078) gewidmet ist, be—
schreibt der Scholasticus Aribo eine neue Herstellungsweise der Flöte,
die man der Erfindung Wilhelms verdanke“). Ein Mönch von Melk
(bei St. Pölten in Niederösterreich) erwähnt, daß Wilhelm durch seine
Berufung nach Hirsau verhindert worden sei, eine Schrift über die
Musik zu vollenden'). In diesem uns erhaltenen Werke, das die
Form eines Zwiegesprächs zwischen Wilhelm und Otloh hat, ist ferner
von einem anderen Buche Wilhelms, nämlich über die Sternkunde, die
Rede“). Aus Anlaß der Nachricht von seinem Hinscheiden berichtet der
Geschichtschreiber Bernold'): „Er hinterließ auch viel Denkmäler seiner
natürlichen Begabung: nach dem Vorbild der Himmelshalbkugel er—
dachte er ein natürliches Horologium; er zeigte, wie man durch zuver⸗
lässige Versuche die natürlichen Solstitien oder Tag- und Nachtgleichen
und den Stand der Welt findet, und dies alles hat ein Freund von
ihm (familiaris) schriftlich aufzuzeichnen sich bemüht; auch viel Fragen
aus der Rechenkunst löste er auf die bewährteste Weise. In der Musik
war er sehr erfahren und hat viele feine Dinge in dieser Kunst, die
Constitutiones Hirsaugienses: Migne, Patrologiae cursus completus Tom. 150 col. 952.
Arihonis musica: Gerbert, Seriptores ecclesiastieci de musica II p. 223.
nonymus Aellicensis IIc. 108 p. 486. Helmsdörfer S. 665.
Musica Wilhelmi: diegne a. a. O. col. 1147 89.
M. G. h. 8s8. V p. 451. Bernoldi chronicon zum Jahr 1091.