Full text: Jahres-Bericht der Königlichen Polytechnischen Schule Stuttgart (1868/69)

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Den eigenthümlichen Stylcharakter und die geistvolle Schönheit der Früh-Renaissance, 
wie wir sie im Vorangehenden in dem alten Lusthaus verkörpert gefunden haben, werden wir 
indess erst dann recht verstehen und würdigen können, wenn wir das daneben stellen, was in der 
Entwicklung der Baukunst auf jene Stufe gefolgt ist; wovon ich im Nachfolgenden an einigen 
Bauwerken Stuttgarts und seiner Umgehung die charakteristischen Merkmale aufzuzeigen ver 
suchen werde. 
Die Früh-Renaissance verwilderte und vergass ihrer schönen Anfänge. Die Baukunst 
der folgenden Periode hielt sich einseitig an Massen und Verhältnisse. Die Details wuchsen 
nicht mehr organisch mit den Massen zusammen: sie brachte es nur zu dem Schein eines Orga 
nismus. Das ist der Zopf- oder Barockstyl. Durch Michel Angelo in Italien ungebahnt, von 
den Franzosen mit besonderer Liebe gepflegt, überschwemmte er mit anderem französischen 
Wesen namentlich die kleineren Höfe und wurde besonders in Dresden heimisch, das man die 
Perle des deutschen Zopfstyls nennen kann. 
Auch bei uns hat sich dieser Styl in einer Reihe von Bauten, zum Theil in bedeutender 
und ruhmwürdiger Weise, ausgesprochen. Am bezeichnendsten für diese Kunstrichtung ist freilich 
abermals ein zerstörter Bau, den wir wieder nur aus Abbildungen und Urkunden kennen, der 
sog. Neue Bau, südlich vom alten Schlosse auf der Stelle der neuen Markthalle gelegen. 
Erbaut ward er von Schickhardt, einem Schüler jenes Beer, den wir vorhin als den Erbauer 
des Lusthauses kennen gelernt haben. Meister und Schüler — so nahe treten also die beiden 
Stylperioden zeitlich zusammen. Denn der Neue Bau gibt uns in der That ein klares Bild 
der Verwilderung der Renaissance im Barockstyl. Die antiken Capitäle der Säulen werden 
schwülstig umgebildet, Gebälke, Giebel u. s. f. willkürlich durchbrochen und verkröpft, Säulen, 
Halbsäulen und Pilaster werden von zwei, drei Halb- und Viertelpilastern begleitet u. s. f. In 
Ermanglung einer organischen Umkleidung des Kerns verlangt man von dem Beiwerk, das in 
den guten Zeiten der Renaissance doch wesentlich nur Schmuck war, dass es Kraft und Leiden 
schaft ausdrücke, man will sie erreichen durch Derbheit und Vervielfältigung. Der Reiz für 
das Auge wird gesucht in Ueberladung von Profilirungen aller Art, im Durchbrechen der Giebel, 
, in Schneckenendigung und Voluten. Dabei ist diesen Formen eigenthümlich, dass sie ein starkes 
Relief und eine starke Schattenwirkung haben. Untauglich zum Ausdruck des wahrhaft Orga 
nischen, des Construktiven, sind sie allerdings wirksam zur Eintheilung der Flächen und Mar- 
kirung bedeutender Stellen. Das malerische Grundgefühl des Barockstyls fand in der Deko 
ration, namentlich des Innern, volle Befriedigung. Neben unorganischen Ornamenten treten 
kostbare Einlagen mit Marmorarten aller Farben, Jaspis, Lapis Lazuli, oder deren Nachahmungen 
in Gyps und Stuck, Freskomalerei auf verschalten Gewölben u. a. ein.
	        

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