122 sein, wenn auch die letztere es wäre und umgekehrt. Der Unterschied besteht darin, daß die Marquise an dieser Stelle mehr in ihrem inneren Zustand, der Ich-Originität ihres personalen Lebens geschildert ist, dem die bestimmenden Adjektive und Prädikate Ausdruck geben. In den anderen Beispielen fehlt die Ausdrücklichmachung des >jetzt und hier< sich vollziehenden inneren Lebens nicht, aber ist eingeschränkt zugunsten der Darstellung der Umstände, des Geschehens, des äußeren Vorgangs, eingeschränkt in jedem der Fälle auf ein den seelischen Zustand der in diesem Geschehen stehenden Personen kenn zeichnendes Wort: äußerste Besorgnis, in seiner zerrissenen Brust, äußerst überrascht und verwirrt. Aber sowohl im »Zweikampf« wie im »Kohlhaas« finden sich Stellen, wo wiederum die Darstellung der seelischen Lage den Primat über die der Begebenheit hat, z. B.: »Frau Littegarde, als sie Herrn Friedrichs Mutter . . . eintreten sah, stand, mit dem ihr eigenen Ausdruck von Würde, der durch den Schmerz, welcher über ihr Wesen verbreitet war, noch rührender ward, von ihrem Sessel auf« (Der Zweikampf). Umgekehrt finden sich in der »Marquise von O . ..« Stellen reinen Geschehensberichtes: »Der Platz war in kurzer Zeit völlig erobert, und der Kommandant . . . zog sich eben mit sinkenden Kräften nach dem Portal zurück, als der russische Offizier, sehr erhitzt im Gesicht, aus demselben hervortrat. ..« Es bedarf keiner weiteren Beispiele, um deutlich zu machen, daß es sich im fiktionalen Erzählen weder in dem einen noch in dem anderen Falle um ein sub jektives bzw. objektives Erzählen handelt. Denn es besteht hier zwischen dem Erzählen und Erzählten kein Subjekt-Objektverhältnis, keine Relation (und damit auch Korrelation). Der Unterschied, den wir bemerken, ist darin ge gründet, daß einmal die fiktiven Gestalten mehr als nach außen handelnde, im Strom der Begebenheiten stehende, ein andermal mehr als erlebende, in ihrem inneren Dasein ruhende (bzw. beunruhigte) geschildert werden. Beide Erzähl weisen wechseln in einer erzählenden Dichtung miteinander ab, ebenso wie etwa Bericht und Dialog abwechseln. Nun ist es eine Entwicklungserscheinung und -phase der erzählenden Dichtung, daß die veranschaulichende Darstellung des inneren Daseins sich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter ausge bildet hat. Sowohl die weitgehende Dialogisierung des Romans, wie die Form der erlebten Rede bis zur Wiedergabe nicht nur des bewußten, sondern auch des unbewußten Erlebensstromes (wie etwa bei Joyce) sind Erzählformen, die eben dies zum Ziele haben. Niemand aber wird behaupten, daß die Bewußtseins assoziationen Leopold Blooms und Stephan Daedalus’ im »Ulysses« subjek tiver, oder auch im Sinne der Dramatisierungstheorie objektiver erzählt sind als die Romane Kleists und Kafkas. In allen Fällen wird ein Fiktionsfeld er