142 Das Dialogsystem Unser Versuch, den Unterschied des fiktionalen Erzählens, als einer Funk tionsstruktur, von der Wirklichkeitsaussage, als einer Relations- oder Subjekt- Objekt-Struktur, nachzuweisen, führte bereits mit der Heranziehung der er lebten Rede auf die Elemente, aus denen das Erzählen sich herstellt und auf baut. Daß zu diesen Elementen der Dialog gehört, ja solange es erzählende Dichtung gibt einen zentralen Bestandteil der Erzählsubstanz bildet, bedarf der Feststellung nicht. Doch ebenso klar ist es, daß es mit ihr nicht getan ist. Gerade weil der Dialog sich als ein relativ einfaches erzählerisches Mittel dar zubieten scheint, bedarf er genauerer Analyse. Der Dialog scheint sich auf den ersten Blick so sehr von dem eigentlichen Erzählen, dem beschreibenden oder reflektierenden Bericht, abzuheben, daß unser Aufweis des Verschmelzens der letzteren mit anderen Formen der Ge staltung, der erlebten Rede vor allem, keine allgemeine Gültigkeit zu haben scheint. Dennoch kann gezeigt werden, daß diese gewissermaßen traditionelle Beschreibung unseres Leseerlebnisses, und damit der Romanstruktur, nicht dem eigentlichen Phänomen entspricht. Geben wir uns von unserem Lese erlebnis einmal Rechenschaft, so belehrt es uns, daß kein sehr merklicher Unter schied zwischen der Erzähl- (genauer: Bericht-) und der Dialogsubstanz eines Romans in unser Bewußtsein tritt. Nicht etwa so, daß man lesend nicht be merkte und jederzeit feststellen könnte, was Bericht und was Dialog sei. Das Phänomen ist anderer Art, nämlich darin gegründet, daß die Er^ählfunktion in einer besonderen Weise fluktuierend erscheint. Wir beobachteten dies bereits an der Art, wie sie sich in der erlebten Rede darstellt, wo sie gleichsam in der Gestalt verschwindet, von ihr aufgesaugt wird, derart, daß nun nicht mehr unterschie den werden kann, ob die Gestalt sich >selbsttätig< darstellt oder dargestellt wird. Dies ist aber nur ein besonders stark hervortretendes Kriterium. Es prägt das fiktionale Erzählen in jedem Augenblick seines Verlaufes, weil es in jedem Augenblick bald mehr bald weniger sinngeprägtes >Sein< erzeugt. Dabei um spielt es, erzeugend, dieses Sein, die Gestalten und ihre Welt, bald näher, bald von ferner, verschmilzt bald ganz mit ihnen, tritt bald wieder von ihnen zurück, aber ohne sie >aus den Augen zu Verlierern und kann sich darum ohne weiteres und ohne Einschnitt an oder in sie, sich selbst ganz aufgebend, aufteilen. Dies geschieht im Dialog und Monolog noch absoluter als in der erlebten Rede. Wie es denn ja auch kaum der Erwähnung bedarf, daß diese drei Formen ein ander verwandt sind und in verschiedenster Dosierung und Nuancierung die Eigenart des fiktionalen Erzählens zum Ausdruck bringen. Sie sind denn ja