maß, das für die Herstellung und physische Existenz eines erzählendes Werkes als Buch gültig ist, auch als Maßstab für die in ihm geschilderte fiktive Welt und Handlung benutzt wurde und aus dem Verhältnis von »Erzählzeit und erzählter Zeit« Schlüsse für Struktur und Sinngehalt bestimmter erzählender Dichtungen gezogen wurden — so beruht dies auf einer Verkennung der Existenzform als auch des Zeitproblems der epischen Dichtung. Erzählzeit wird ja nicht nur verbraucht, um den zeitlichen Fortgang der epischen Hand lung zu erzählen, sondern auch für die Darstellung von Gegenständlichem und Reflektorischem (die mehr oder weniger >weitschweifig< sein kann), und, um am einfachsten Beispiel zu demonstrieren, die Beschreibung »blondes Haar« bedarf geringerer Erzählzeit als der Ausdruck »schimmerndes blondes Haar«. Die Zeit aber scheint in der erzählenden Dichtung nur als fiktives Element der fiktiven epischen Welt, als ein Stoffelement nicht anders als etwa der in ihr geschilderte Raum. Das Zeitelement ist in den meisten Fällen mit dem Gange der Handlung mitgegeben, mehr oder weniger unbetont, und es wird, wie hier nur angedeutet werden kann, zum strukturellen oder sinn haltigen Problem nur dann, wenn es als solches thematisch wird, wie es in moderner Epik, im Joyceschen »Ulysses«, im »Zauberberg« und Joseph roman von Thomas Mann, in »Mrs Dalloway« von Virginia Woolf, der Fall ist. Hinsichtlich einer Erzählzeit aber würde dasselbe für das Drama gelten, wenn dieses nur als Buch in der physischen Wirklichkeit existierte. Auch »Wallenstein«, der in der Säkular-Schillerausgabe einen ganzen Band für sich allein in Anspruch nimmt, hat eine längere >Erzählzeit< als »Die Räuber«, deren Handlung sich offenbar über eine längere fiktive Zeit er streckt als die Wallenstein-Trilogie. Aber die >Erzählzeit< des Dramas soll in >Spielzeit< umgesetzt werden, das dramatische Werk aus dem Modus der Vorstellung in den der sinnlichen Wahrnehmung übertreten und sich damit unter die Bedingungen der zeit räumlichen Wirklichkeit begeben. Dies ist der Quellpunkt der Zeitdiskussion über das Drama, die Ursache, daß die Zeit als Faktor der dramatischen Kunst frühzeitig ins Bewußtsein trat, als ein Problem, dessen Lösung mehr Sache der Bühnentechnik als der Dichtung selbst ist, ein dramaturgisches mehr als ein dramatisches Problem 131 . Kein Zufall, daß es aktuell erst in jener Epoche wurde, in der, wie D. Frey gezeigt hat, das Drama als objektiv und vor allem bildhaft 131 Dies hat bereits der italienische Renaissancepoetiker Trissino bemerkt, wenn er in seiner Schrift »Le sei divisioni della Poetica« anläßlich der aristotelischen Zeitbestimmung bemerkt, daß sie mehr »da la representazione del senso che da l’arte« zu entnehmen ist. (Zit. nach D. Frey, Gotik und Renaissance, Augsburg 1929, S. 200) 168