197 für diesen Dichter eigentümlicher, gar biographisch zu erklärender zu ver stehen, sondern allein als sprachlich-logischer, als der Prozeß, der sich inner halb der Subjekt-Objekt-Korrelation der lyrischen Aussage ereignet. Als sol cher hat er freilich unendlich differenzierte Erscheinungsformen, deren Diffe renzierungen die unendlichen Möglichkeiten der lyrischen Aussage und der durch sie erzeugten Kunstgebilde sind; und nur in diesem Sinne ist dieser Prozeß auch individuell in Hinsicht auf die einzelnen lyrischen Gedichte und damit die lyrischen Dichter, sowie auch in Hinsicht auf die Epochenstile. Die Struktur der älteren Lyrik stellt sich auch in dieser Hinsicht anders dar als die der modernen. Das fünfte der »Geistlichen Lieder« des Novalis ist als Ausgangspunkt für unsere Untersuchung dieses Prozesses eben deshalb geeignet, weil es auch als gottesdienstliches Lied fungiert. Als solches fungiert es in einem Wirklich keitszusammenhang, eben dem religiös-gottesdienstlichen, als Bekenntnis des seinen Herrn, seinen Christus liebenden Herzens. Das unpersönliche Gemeinde lch des Liedes wandelt sich, so sahen wir, zu dem Ich des Dichters, wenn wir das Gedicht außerhalb des gottesdienstlichen Zusammenhangs lesen oder hören. Der Charakter des Aussagesubjekts verändert sich, aber nicht der des Aussageobjekts — naturgemäß, da ja das Gedicht sich nicht verändert. Der Objektzusammenhang, der im Gedicht erscheint, bleibt bestehen, auch wenn er keine gottesdienstliche Funktion hat, das besagt: er bleibt in seiner Eindeu tigkeit bestehen: »er« — in der für den Klang des Gedichts nicht unwesent lichen Akkusativform »ihn«, fünffach aufklingend als Intonation der fünf gleichen Strophenanfänge — der Herr, den zu besitzen das Herz mit einem Glück erfüllt, für das in den fünf Strophen fünf verschiedene, teils direkt, teils metaphorisch benannte Zustände zeugen. So deutlich ist der Objektzusammen hang dieser Aussagen, daß der Interpret nichts anderes zu tun hat als sie als Ausdruck des frommen Glücks dieses hier >sich aussprechendem lyrischen Ich zu konstatieren. Es hat sich zwischen dem Subjekt- und Objektpol dieser als Gedicht geformten religiösen Aussage noch nicht viel ereignet. Nicht viel, aber doch schon etwas. Es erscheint in der vierten Strophe — und es dürfte keine Willkür sein, daß in den Gesangbüchern, in denen das Lied aufgenommen war, diese Strophe fortgelassen oder geändert ist 149 . 149 In Gesangbüchern, die die vierte Strophe aufgenommen haben — z. B. das Evangel. Gesangbuch für Elsaß-Lothringen (1914), das Christi. Gesangbuch für evangel. Gemeinden (Bielefelt 1854) —lauten Vers 3 und 4: »und des Himmels reiche Gabe / meinen Blick nach oben hält«; im Gesangbuch für die Evangel. reformierte Kirche der deutschen Schweiz (Bern 1891) heißt es: »Was er beut, ist ew’ge Gabe / Selig wer ihn an sich hält.«