Stadium unterschiedene, und meist verschiedene erlebt, während der Brief oder Tagebuchschreiber nur das eine jeweilige Jetzt und Hier seines Ich weiß und erlebt. Der Autobiograph, der echte wie der fingierte, objektiviert seine früheren Ich-Stadien. Er sieht sein Jugend-Ich etwa als ein anderes Ich als das jetzige Ich, das erzählt, und wiederum als ein anderes als das Ich eines späteren Lebensstadiums. »Damals«, erzählt Simplizissimus von seiner noch kindlichen Verfassung in der Hanauer Pagenzeit, »war bei mir nichts Schätzbarliches als ein reines Gewissen und aufrichtig frommes Gemüt zu finden, welches mit der edlen Unschuld und Einfalt begleitet und umgeben war« (I, 24), aber später »wird der günstige Leser im vorhergehenden Buche verstanden haben, wie ehrgeizig ich in Soest geworden war und daß ich Ehre, Ruhm und Gunst in Handlungen suchte und auch gefunden, die sonst bei andern wären strafwürdig gewesen« (111,1). Uns interessiert dieses keines wegs seltene Beispiel hier nur wegen seiner strukturellen Bedeutung und der darin beschlossenen Variationsmöglichkeiten der Ich-Erzählung. Indem der Ich-Erzähler seine früheren Ich-Zustände objektiviert — wie das jeder von sich selbst aus einem zeitlichen Abstande Sprechende tut —, kann sich, so paradox dies zunächst erscheinen mag, der Charakter des Ich-Romans bis zu einem gewissen Grade verlieren. Das objektivierte Ich der früheren Stadien wird nicht immer in gleicher Stärke als identisch mit dem Ich-Erzähler erlebt, sondern gewissermaßen als selbständige Person, die, von dem Ich-Erzähler losgelöst, nun eine Person unter den anderen Personen der Erzählung ist, derart daß das Subjekt-Objekt-Verhältnis der Wirklichkeitsaussage zwar nicht aufgehoben wird, aber zurücktritt vor der in der Erzählung agierenden Ich- Person, wie man sagen kann, die als ein Objekt unter anderen Objekten, eine Person unter anderen Personen erscheint. Denn, dies sei nochmals erinnert, in der Ich-Erzählung sind die geschilderten anderen Personen stets nur als Objekte, niemals als Subjekte (wie in der Fiktion) erfaßt. Diese Erscheinung tritt nun um so stärker hervor, je mehr die Ich-Erzäh lung nicht nur Selbst-, sondern auch Weltdarstellung ist. Und dieser Zusam menhang ist kein Zufall, insofern auch die Weltdarstellung, oder doch die Möglichkeit dazu, in der fixen Rückblicksituation des Ich-Erzählers ihren Grund hat. Indem er auf die Totalität seines Lebens zurückblickt, blickt er auch auf einen Weltzusammenhang zurück, eine geschichtliche, geographische, epochal bestimmte Welt, in der sein Leben sich abgespielt hat, seine früheren Ichs mit anderen Menschen zusammengetroffen sind, Verbindungen, Schick sale, >Geschichten< sich hergestellt und abgespielt hatten, die von dem fixen rückschauenden Ich sich als mehr oder weniger von ihm losgelöst darstellen,