19 Beil. 3. mit 2 Zeichnungsbeil, zur 4. Versammlung. Der Geest- und Stammfiel-Bau in Hamburg. (Im Verein für Baukunde vorgetragen am 28. Februar 1874 von A. Hettich, Baumeister.) In den meisten großen Städten Deutschlands sind die An lagen für die Entwässerung und die Einrichtungen für die Ent fernung der Auswurfstoffe sehr lange vernachlässigt worden, so daß sie jetzt fast überall zur brennenden Frage geworden sind, nachdem mehr und mehr die Ueberzeugung Platz gegriffen hat, daß von der richtigen Lösung dieser Frage Gesundheit und Leben der Be wohner in hohem Grade abhängen. Hamburg ist diejenige deutsche Stadt, in welcher der Werth dieser Anlagen schon längst gewürdigt wurde. Sie hat seit 30 Jahren ein ihren Verhältnissen entsprechendes vollständiges Ent- wässerungs- und Spülsystem, das von Ingenieur Lindley in großartiger Weise geplant und nach dem großen Brande vom Jahr 1842 auf die neu aufzubauenden Quartiere ausgedehnt wurde. — Diese Sielbauten sind seither nach Maßgabe der wachsen den Bevölkerung planmäßig erweitert worden.— Das starke Wachs thum der Vorstadt St. Georg und die fortschreitende Ueberbauung des Gebiets vor dem Dammthor führten in den letzten Jahren zur Ausdehnung des Sielsystems auf das Geestgebiet (im Gegensatz zum Marsch- oder engeren Stadtgebiet), und sind hiefür im Bud get der Stadt für 1872 ein und eine halbe Million Thaler aus geworfen. Der Hauptabfluß-Kanal: das Stammsiel ist so projektirt, daß dasselbe von Schürbeck und St. Georg unter dem Alsterbecken hindurch entlang der Nord- und Westseite Hamburgs und unter halb der Häfen und Landungsplätze in die Elbe führt. Auf diesen Plan wurde schon bei Erbauung der Lombards-Brücke über das Alsterbassin, welche St. Georg mit St. Pauli verbindet, Rücksicht genommen ,und in deren Fundamenten ein Stück des Stammsieles angelegt, das nun nach beiden Seiten fortzusetzen ist. Zunächst wurde im vorletzten Jahre mit dem Bau der Strecke des Stammsieles begonnen, welche zwischen der Elbe und dem Dammthor liegt (s. den Situationsplan Bl. 1). Die Einmün dung erfolgt nahe der Grenze von Hamburg und Altona und ist durch versenkte eiserne Kästen bis in den Fluß vorgeschoben. Das gemauerte Siel beginnt am Ufer, durchschneidet parallel den Quai, den St. Pauli-Markt und Landungsplatz und tritt unter einer Kasematte in der Futtermauer der Hafenstraße in diese Straße ein. Hier ist gegen Hochfluthen eine Hauptabschluß-Vorrichtung mit Schooßen und Stauthor angebracht (s. das Längenprofil). Das Stammsiel setzt sich sodann unter der Hafenstraße fort, windet, sich, parallel dem Hauptzuge der alten Stadtbefestigung, durch den sogenannten Hamburger Berg, welcher sich hier ca. 30 M. über die Elbe erhebt und zieht sich endlich beim botanischen Garten unter dem Stadtgraben und den alten Wällen hindurch bis zum Dammthor in einer Gesammtlänge von pp. 2800 M. mit dem äußerst geringen Gefälle von nur 1:3000. Nebenbei sei hier bemerkt, daß das ganze weitverzweigte ! Siel-Netz Hamburgs nach der Querschnittsgröße der Siele in be- stinimte Klassen eingetheilt ist. Die Querschnittsform ist der Kreis für die kleinsten Haus- und Straßensiele (Thon- oder Cement röhren). Die größeren Straßensiele haben Eiform (Botonguß oder Backstein-Mauerwerk in Cementmörtel). Für das Geest-Stammsiel wurde mit Rücksicht auf den vor ausgesetzten ziemlich bedeutenden Druck des Gebirges die Kreis form gewählt (s. Bl. 2 Fig. I). Der lichte Durchmesser desselben beträgt 3M. Der Gewölbering besteht aus 4 konzentrischen Back- stein-Rollschichten in Cementmörtel (1 Thl. Cement, 2 Thle Sand); die Gesammtstärke des Rings ist 0,43 M. Was die Ausführung der Erdarbeiten zur Herstellung des Stammsiels betrifft, so konnten nur die kurzen Strecken am Hafen, in der Hafenstraße und unter dem Stadtgraben bei einer Tiefe der Sielsohle bis zu pp. 12 M. unter Terrain-Oberflüche in offe ner Ausgrabung zwischen Bohlenwänden mit horizontaler Absprei zung hergestellt werden; die ganze übrige Länge wurde als Tun nelbau mit Schachtbetrieb aufgefahren. Die Gebirgs-Untersuchungen hatten (s. die Probeschüchte im Lüngenprofil Bl. I), Ablagerungen von magerem und fettem Thon, Sand mit Thon und Wasser, Triebsand und Gerölle (Grand mit Steinen) ergeben. In der Tiefe des Siel-Querschnitts fand sich fetter blauer Thon. Die Disposition des Baues war in der Art getroffen, daß in Entfernungen von ca. 200 M. Förderschächte abgeteuft wurden, zwischen welchen in der Mitte je ein kleinerer Hilfsschacht ange ordnet war. — Die Letzteren, im Licht 2M. im Quadrat groß, sollten hauptsächlich zur Einbringung der Mauer-Materialien dienen und zur bessern Wetterhaltung beitragen, theilweise auch als Luft- und Einsteigschächte ausgemauert werden. Die Förderschichte (Bl. 2 Fig. II) wurden in Rechteckform im Licht 3,9 M. lg., 1,6 M. brt. abgeteuft und in drei gleich große Trummen abgetheilt, von denen die mittlere die Fahrung enthielt und meist auch die Wetter und Pumpenleitungen aufnahm; die beiden seitlichen dienten als Förder-Trummen. Sämmtliche Schächte waren auf der Mitte des Sielprofils in der Seigerlinie angeordnet und wurden in Abtreibe- Arbeit auf bergmännische Weise hergestellt. Die gewöhnliche Ent fernung der Schachtkränze war IM.; dieselben wurden durch auf genagelte Hängeisen aus Flachstäben ( l / 6 Cm. stark) oder aus alten Rollbahn- (Keil-) Schienen verbunden. Die Stärke der Pfähle war 5 Cm. Der Tunnelbau selbst sollte ursprünglich lediglich als großer Stollenbau (Bl. 2 Fig. III) ausgeführt werden, so daß innerhalb der nahezu rechteckigen Zimmerung die kreisförmige Einwölbung des Mauerwerks stattfinden konnte. Die Thürstöcke waren in 1 M. Entfernung angeordnet; außer der Verspannung durch wagrechte > Bolzen von Zimmer zu Zimmer war keine Längenverbindung an-