70 gefaßte Angelegenheit handle und daß in solchen Fragen jeder das Wort zu ergreifen berechtigt sei, der mit der nötigen Lokalkenntnis ausgerüstet, offenen Auges aufzunehmen versteht, was ihm entgegentritt und daraus mit dem einfachen Hilfsmittel des gesunden Menschen verstandes seine Schlüsse ziehe, zeigt in ihrer Unklarheit und Ver schwommenheit sofort, wie wenig glücklich der juristisch gebildete Stadtvorstand mit den Mitteln zur Begründung einer neuen Bau- volitik in der schönen schwäbischen Residenz bis jetzt gewesen ist. Dieser Eindruck, der sich schon in der Einleitung aufdrängt, steigert sich immer mehr, je weiter man sich in die einzelnen Abschnitte der Denkschrift vertieft. Verwundert fragt man, wie allgemein gültige, den Naturgesetzen sich anschließende Regeln, welche bei der Entwick lung des deutschen Städtebaues sich allmählich herausgebildet haben, hier ohne jede thatsächliche Begründung, auf unrichtigen Annahmen und falscher Anwendung von Zahlenreihen fußend, ohne weiteres beiseite geschoben werden sollen. Die Ansicht, welche Vr. Rettich bier mit den Waffen der Statistik verteidigt, stellt unseren klaren Anschauungen über die Wege, in welche die Entwicklung einer mo dernen Stadt zu leiten ist, unnatürlich und sremd gegenüber. Während seither die sogenannte geschlossene Bauweise, d. h. die ununterbrochene Aneinanderreihung hoher Gebäude in den neuen Stadtteilen möglichst zu beschränken gesucht worden ist; während in den großen Städten Deutschlands fich überall das Bestreben zeigt, eine weiträumige Bebauung durchzuführen und selbst in den alten Stadtteilen, wo sich ungeheure Grundwerte gebildet haben und nur mit großen Opfern die Aufhebung solcher erzielt werden kann, durch Freilegung größerer Flächen die noch kostbareren, weil unentbehrlichen Güter: Licht und Luft, verbreitet werden, macht sw. Rettich den Vorschlag, auch in den Anßenteilen der Stadt die geschlossene Bau- iveffe durchzuführen, um durch möglichste Ausnützung des Bangrundes der Stadtgemeinde die großen Werte zu erhalten, welche infolge der Eigenschaft als Bauplatz gegenüber den nur landwirtschaftlich zu be nutzenden Grundstücken darauf ruhen und mit einem Gut nicht ver schwenderisch umzugehen, das die Stadt zur Erfüllung der vielen ihr obliegenden Aufgaben notwendig brauche. Alle Errungenschaften jahrzehntelangen Strebens, die Herstellung größerer Zwischenräume in den Straßenreihen, die Beschränkung der Gebäudehöhe in bestimmten Stadtteilen, die Ausstellung von Bauverboten an solchen Plätzen, welche im öffentlichen Interesse von der Bebauung frei gehalten werden sollten, die ganze Zonen-Banordnnng wird als etwas lleber- stüssiges, ja Schädliches hingestellt und dem städtischen Techniker der Vorwurf gemacht, daß die Durchführung seines Planes einerseits mit ungeheurer Belastung der Stadtgemeind" verbunden sei und daß andererseits hygienisch gerade das Gegenteil der beabsichtigten Ge winnung gesunder Wohnquartiere erreicht werde, nämlich die Zu- sammenpferchung größerer Menschemnassen in einzelnen Gebäuden, weil durch die Bestimmungen für den neuen Stadtbezirk das Bauen unverhältnismäßig verteuert und damit erschwert werde, und nicht genügend billige Wohnungen erstellt werden können. Ein Hauptsatz, auf den sich diese Anschauung stützt, ist der, daß die Arbeiter, welche in den Industriezweigen einer Stadt thätig sind, unbedingt auch im Bezirk der Stadt selbst, womöglich in unmittelbarer Nähe ihres Be triebes wohnen müßten und daß die Städte ihre Kultur, die ihnen so viele Lasten auflädt, möglichst lange für sich behalten und sorg fältig eine Ausdehnung auf das umliegende Land hintanhalten sollen. Betrachtet man kurz die normale Entwicklung einer größeren Stadt, so fällt sofort die Ungereimtheit und Kleinlichkeit dieser An schauungen ins Auge. War seither eine Stadt nicht von Anfang an weit gebaut, wie die Städtegründungen im 18, Jahrhundert, so hat sich gewöhnlich um einen aus dem Mittelalter stammenden enggebauten Kern, der früher mit Mauern und Türmen umgeben war, die neue Stadt in weiterer Bauart im allgemeinen ringförmig, aber durch die verschieden artigen Bodenverhästnisse beeinflußt, angeschlossen. In der alten Stadt waren noch Wohnung und Geschäft vereinigt; mit der Ver größerung tritt allmählich eine Trennung ein. Die inneren Bezirke werden immer mehr für den steigenden Geschäftsverkehr ausgenutzt. Die Wohnungen werden hinausgedrängt in die äußeren Stadtteile. Nicht nur der Preis der Wohnungen, welche in den Geschäftslagen immer teurer werden, veranlaßt die Arbeiter hinauszuziehen, auch der Kaufmann, der Techniker, der Beamte suchen sich draußen anzusiedeln, und wenn es nnr wegen des sich steigernden Verkehres, des immer währenden Lärmes und der Verschlechterung der Luft wäre, welche die Häufung der verschiedenen Geschäftszweige im Innern der Stadt hervorrufen. Mit der Trennung von Wohnung und Geschärt drängt sich die Arbeitszeit mehr zusammen, die Arbeit wird intensiver, der Arbeiter und der Beamte der Städte haben allen Anlaß, den starken Verbrauch der Kräfte durch kräftige Nahrung, aber auch durch mög lichst günstige Gestaltung ihrer Wohnung, durch den Genuß von Luft und Licht, durch Anschluß an die Natur auszugleichen. Diese Lebens bedingungen kommen ihnen aber nur in größerer Entfernung vom Geschäftsbetrieb und nicht in enggebamen Stadtteilen mit hohen Häusern, sondern nur in weiträumig angelegten Straßen, in mit Gärten abwechselnden, nicht kasernenartig angelegten Gebäuden zu gute. Unbedingte Pflicht der Stadtverwaltung ist es daher, bei steigender Industrie-, Handels- und Geschäftsthätigkeit einer Stadt, immer weitere Kreise für die Befriedigung des Wohnbedürsnisses zu ziehen, durch gleichmäßige Ausbildung und Verbesserung der Verkehrsmittel für möglichst rasche und billige Beförderung der Arbeits kräfte vom Mittelpunkt nach den Anßenteilen und zurück zu sorgen und sorgfältig darüber zu wachen, daß die Wohnungen draußen allen Anforderungen an gesunde Verhältnisse entsprechen. Dies kann aber nur durch allmähliche Vergrößerung der Zwischen räume zwischen den Häusern, gewöhnlich bis zur Höhe der Gebäude selbst, und entsprechende Beschränkung der Stockwerkzahl geschehen. Hierdurch wird aber ganz entgegen der Rettich'schen Ansicht, daß dieses Verfahren das Wohnen verteure, außer dem gesunden Wohnen noch der Vorteil erreicht, daß die Bauplätze nicht als Spekulations objekt benutzt werden können und dadurch im Preise möglichst niedrig gehalten werden und ferner, daß die Erstellung niedriger Gebäude in größerer Entfernung von einander eine viel billigere Bauweise gestattet, somit im Gegenteil billigeres Wohnen bewirkt. Unrichtig ist auch die Rettich'sche Ansicht, daß die Stadtgemeinde sich durch eine solche weiträumige Ausdehnung unerschwingliche Lasten auflade, da die Kosten für alle städtischen Erfordernisse in dem weitgedehnten Gebiete der Neustädte ebenso groß seien wie für den enggebauten Stadtkern. In den neuen weitgebauten Stadtteilen werden im Ver hältnis zu der wenigerdichten Bevölkerung auch geringere Anforderungen an alle öffentliche Einrichtungen gestellt Die Straßen können mit Vorgärten versehen und in den für den Verkehr benutzten Teilen schmäler gehalten werden; auch das Befestigungsmaterial ist bei weitem nicht so teuer wie in der Geschäftsstadl und in den enggebauten Wohnbezirken; in ähnlichen! Maße verringern sich die Kosten für Kanalisation. Reinigung, Unterhaltung, kurz in allen städtischen Arbeiten. Die Stadtgemeinde hat es vollständig in der Hand, hier die Verhältnisse richtig abzuwägen und ihre Ausgaben dem allmäh lichen Wachstum auf allen Gebieten anzupassen. Auch bei weiträumiger Bebauung muß selbstverständlich, soweit möglich, einer Ueberfüllung der Wohnungen im einzelnen vorgebeugt werden. Sie wird fich nicht immer ganz vermeiden lassen, aber jedenfalls ist sie bei offener Banweise weit unschädlicher als bei ge schlossener Anordnung der Gebäude; denn im ersteren Fall ist aner kanntermaßen die Lüftung eine weit bessere. Hier kommen wir an einen besonders wunden Punkt der Rettich'schen Ausführungen, seine Theorie über die Lüftung. Er erklärt nämlich die sogenannte wag rechte Lüftung durch die Zwischenräume der Häuser nicht"für zweck entsprechend und als staubaufwirbelnd, eher für schädlich in gesund heitlicher Beziehung, während er sich alles von der sog. senkrechten Lüftung verspricht, die auch in enggebauten'Stadtteilen mit hohen Häusern vollständig wirksam sei, weil die unmittelbar über und in den Straßen befindliche warme Luftschicht in die Höhe steige und dadurch, ohne schädliche Zugerscheinung durch die herabsinkende kältere Luft, eine vollständig genügende Lufterneuernng herbeigeführt werde. Daß dies nur eine Täuschung ist und daß der Vorgang sich in Wirklichkeit ganz anders abspielt, weiß jeder Stadtbewohner. Auch physikalisch ist dies sehr leicht begreiflich, da Or. Rettich die größte