Einleitung gründe liegt. Die Logik der Dichtung ist damit auch die Phänomenologie der Dichtung. Dieser Begriff ist hier und in dem ganzen Gang unserer Un tersuchungen weder mit der besonderen Bedeutung der Hegelschen noch der der Husserlschen Phänomenologie belastet. Er bezeichnet nichts als die Beschreibung der Phänomene selbst - doch wiederum nicht im Sinne einer deskriptiven, sondern im Sinne einer symptomatischen Beschreibungsme thode, d.i. im Sinne der Lehre, die, nach dem Worte Goethes, die Phäno mene sind. Wenn Goethe es ablehnte und verbot, hinter den Phänomenen zu suchen 2 , so meinte er damit das Einlegen eines Sinnes in sie, der aus ihnen selbst nicht zu entwickeln ist, eines metaphysischen Sinnes irgendwelcher Art, der aus den Phänomenen der Natur eine Naturphilosophie, aus denen der Geschichte eine Geschichtsphilosophie macht, statt einer Wissenschaft oder, wie Goethe auch sagt, einer Theorie. Es gibt aber eine Bedeutung, in der auch Goethe das Suchen hinter den Phänomenen anerkannte und anwandte, die Bedeutung, die schon darin enthalten ist, daß sie die Lehre sind. Denn sie sind die Lehre, weil sie als Phänomene zugleich Symptome sind, weil ihr besonderes So-sein oder So-erscheinen auf eine oder mehrere in ihnen selbst gelegenen Ursachen zurück- oder auch hinunterweist, die ihr Sosein und -erscheinen bedingen. Daß diese Ursachen so verborgen und darum so un auffällig sein können, daß man bei der Beschreibung der Phänomene sie gar nicht als Ursachen erkennt - auch dies hat Goethe prägnant festgestellt: »Man sagt gar gehörig: das Phänomen ist eine Folge ohne Grund, eine Wir kung ohne Ursache. Es fällt dem Menschen so schwer, Grund und Ursache zu finden, weil sie so einfach sind, daß sie sich dem Blick verbergen«. 3 Die Naturwissenschaft besteht methodisch in nichts anderem als in diesem Ver fahren der Erkenntnis. Sie sucht nach den Ursachen der Symptome, die die Erscheinungen zeigen, und sie beruhigt sich nicht, bis sie diese Ursachen in einem Gesetz, einer Gesetzmäßigkeit, einer Struktur gefunden hat. Wir lassen uns hier nicht auf die weitläufige und vieldiskutierte Frage ein, ob und in welcher Weise auch die Geisteswissenschaften Gesetzeswissenschaf ten sein können. Wir behalten nur das Phänomen der Dichtung im Auge und wollen zu zeigen versuchen, daß es in hohem Grade, im selben Grade wie die Sprache selbst, zu den an Symptomen reichen Phänomenen gehört, deren Sosein oder Seinsweise nicht von ungefähr ist und nur als solche beschrie ben zu werden brauchte, sondern sich erklärt und erhellt aus der verborgenen logischen Struktur, die ihr als Kunst der Sprache oder aus Sprache zugrunde liegt. 2. Das Höchste wäre zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre. (Maximen und Reflexionen, hrsg. GMüller Nr. 993.)