Die fiktionale oder mimetische Gattung theoretischen Zusammengehörigkeit der dramatischen und epischen Dich tung, als Mimesis handelnder, bzw. »leidender« Menschen 61 , deren Ver hältnis zu ihrer »Welt« nicht durch die Struktur der mimetischen Formen, sondern durch die historische Entwicklung des Weltzustandes und der da mit verbundenen Auffassung von Mensch und Welt bedingt ist. Und schon Goethe, der nur dem Drama die Darstellung des »nach innen geführten Menschen« zugeschrieben hatte, mußte sogleich in Hinsicht auf seine eigene ‘Epopöe’ >Hermann und Dorothea< zugeben, »daß diese sich auch dadurch von der Epopöe entfernt und dem Drama nähert« (23. 12. 1797). Ein sol ches Urteil, das ganz von der ästhetischen Struktur, der Darbietungsform absieht, ist symptomatisch genug und weist unabsichtlich auf die Ordnung hin, die dem Dichtungs System zugrundeliegt. Die Unterscheidung zwischen dramatischer und erzählender Dichtung auf Grund der Darbietungsformen könnte zu exakteren Resultaten führen. Aber diese können nur dann erzielt werden, wenn eben nicht der Unter schied der Darbietungsformen, Erzählen und dialogische Personengestal tung, zum Kennzeichen eines Gattungsunterschiedes gemacht wird. Daß sich dies so verhält, ja was hiermit gemeint ist, zeigt sich besonders deutlich an den Versuchen der Literaturtheorie, die als drei einander nebengeordnete Gattungen unterschiedene epische, dramatische und lyrische Dichtung in eine strukturelle Verbindung miteinander zu bringen. Es wurden, unter den verschiedensten Gesichtspunkten, einmal Epik und Lyrik dem Drama, ein andermal Dramatik und Lyrik der Epik, und natürlich auch Epik und Dra matik der Lyrik gegenübergestellt. Die erstere Ordnung versucht J. Peter sen, indem er das Epos durch monologischen Bericht einer Handlung, die Lyrik durch monologische Darstellung eines Zustandes und das Drama durch dialogische Darstellung einer Handlung bestimmt 62 . Der Begriff des Monologischen ist hier entscheidender als der des Berichtes und der Dar stellung, weil die Auffassung zugrundeliegt, daß das ‘epische Ich’ von glei cher Beschaffenheit sei wie das lyrische (eine Fehlauffassung, aus der heraus verkannt wird, daß auch der epische Bericht darstellend, die lyrische Aus sage aber nicht darstellend ist, wie wir unten eingehend zeigen werden). 61. Es gehött zu solchen mehr oder weniger schematischen Charakteristiken dieser fiktionalen Gattungsformen, daß der Romanheld als leidender Typus dem handelnden des Epos oder auch des Dramas entgegengesetzt wird. So Spoerri: „Der Mensch ist mehr der Leidende als der Handelnde, nicht seine Aktionen, sondern seine Reaktionen stehen im Vordergrund“ (Formwerdung S. 61). Wo zu in Parenthese bemerkt sei, daß es semantischer Analysen von Begriffen wie Handeln und Leiden bedarf, um hier zu stimmigen Urteilen und Definitionen zu kommen. Auch Kriemhild z.B., eine epische Figur, reagiert auf das Leid, das ihr zugefügt ist, und doch muß man sie eine Handelnde nen nen. - Doch handelt es sich, wie in den Beispielen des Textes, nicht um eine Diskussion aller dieser Auffassungen; sie werden nur als Symptome dafür zitiert, daß sie gerade in ihrer spekulativen Unge nauigkeit die gattungsmäßige Zusammengehörigkeit von Epik und Dramatik erhellen. 62. Die Wissenschaft von der Dichtung, 123 Il6