FÜR WÜRTTEMBERG BADEN HESSEN ELr SASS-LOTHRINGEN* STUTTGART, 21. JULI 1906 Inhalt; Bürgerliche Bauweise. — Fortsetzung des „Kleinwohnungsbaues“ in Nr. 28. — Die Verwendung von Mörtel und Beton. — VII. Tag für Denkmalpflege. — Vereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. — Heiseskizzen von Architekt Röckle-Stuttgart. — Kleine Mitteilungen. — Beleuchtungskörper, ausgeführt von der Firma P. Stotz-Stuttgart. — Personalien. — Bücher. Alle Rechte vorbehalteil Bürgerliche Bauweise*) Von Fritz Schumacher Stilarcliitektur im Wohnhaus des 19. Jahrhunderts Wer den Wohnhaustypus des 19. Jahrhunderts schil dern will, muß sich eine besondere Schwierigkeit von vornherein klarmachen. Sie liegt nicht so sehr darin, daß gerade das W ohnhaus sich naturgemäß schwer überblicken läßt, solange die Zeit aus der Fülle der Erscheinungen Gleichgültiges und Wichtiges noch nicht durchsiebt hat, sondern sie liegt in der eigentümlichen Tatsache, daß es gerade für den Wohnhausbau des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist, diesen „Typus“, den man suchen will, nicht herausgearbeitet zu haben. Wenn man näher zusieht, findet man im Wohnbau des 19. Jahrhunderts die entgegengesetzten Erscheinungen. Alle Techniken, alle Materiale, alle Motive, alle Formen früherer Zeiten werden zu seiner Gestaltung aufgehoten. AVer die vornehme AVohngegend einer großen deutschen Stadt durchstreift, begegnet italienischen Palästen neben Bauten, die von deutschen Rathäusern oder von Ritter burgen stammen, Rokokoschlößchen stehen dazwischen, und heimatlose Backsteinbauten vollenden das bunte Bild. Der Zufall scheint das Wohnhaus solcher Bezirke zu gestalten. Ganz so zufällig, wie es im ersten Augenblick erscheinen mag, ist aber selbst solch ein Bild nicht. Jenes bunte *) Aus dem „Goldenen Buch vom Eigenen Heim“, Verlag Spemann- Stuttgart. Mit gütiger Genehmigung des Verfassers und des Ver legers (vgl. die Besprechung des AVerkes in Nummer 9 des laufen den Jahrgangs der „Bauzeitung“). Gemisch einer vornehmen Wohngegend vom Ende des 19. Jahrhunderts ist das Resultat einer vorangehenden Entwicklung, die so geschwind von AVechsel zu Wechsel führte, daß schließlich die Ausläufer aller der durch laufenen Etappen noch gleichzeitig nebeneinander sicht bar sind. Das muß natürlich ganz verwirren. In der Art aber, wie diese Etappen sich entwickelten, ist, historisch betrachtet, eine gewisse Folgerichtigkeit nicht zu verkennen. Das Erbe, mit dem das 19. Jahrhundert im Wohnbau begann, blieb einige Jahrzehnte ziemlich unangetastet. Es war jene nüchterne aber gesunde Sachlichkeit, in die sich das Empire umsetzte, wenn es bürgerlich auftrat. Gerade Linien, flache Lisenen, ruhige Achsen, schmale Streifen; eine Gesamtstimmung, die mit Hilfe eines aus gebildeten Daches zur schlichten Vornehmheit jener Land häuser führt, denen wir heute noch manchmal wehmütig bewundernd in den Vorortsbezirken unsrer Großstädte begegnen, oder aber zu dem mehr spießbürgerlichen Typus, der etwa der Hauptstraße einer deutschen Klein stadt heute noch ihren halb steifen, halb behaglichen Charakter gibt. Charakter aber bleibt in diesen schlichten Gebilden, solange sie mit einem gesund und kräftig aus- gehildeten Dache wirken. Klassizismus Der antikische Einfluß, der im Zusammenhang mit Schinkels Auftreten vom Monumentalbau zum Wohn- Zweifamilienwohnhaus (Fortsetzung des „KleinWohnungsbaues“ in Nr. 28) Architekt AVienkoop, Darmstadt