Zweifamilienhaus städt. Arbeiter (3700 M.) Architekt AVienkoop, liausbau herüberwirkt, macht sich in dieser Beziehung unheilvoll bemerkbar: er läßt das Dach verschwinden und setzt an seine Stelle das Hauptgesims als Dominante des Baues. Damit ging langsam der haupt sächlichste Reiz verloren, der vom 18. Jahrhundert dem Wohnhaus des 19. vermacht war, die Massenwirkung war aufgehoben, an ihre Stelle trat die „Fassade“, und diese konnte mit ihren ins Bescheidene und Dürftige über setzten klassizistischen Formen nicht viel als Entgelt bedeuten. Das war die erste Wirkung eines historischen Stils, der nicht aus dem natürlichen Gang der Verhält nisse, wie man das selbst vom Empire noch sagen kann, sondern aus antiquarischem Interesse heraus den Geschmack beeinflußte. Romantik Das antiquarische Interesse aber, das von nun an in immer wachsendem Maße die Zeit beherrscht, blieb, ein mal entfesselt, nicht bei der Antike stehen. Aus dem Gesetz der Reaktion, das nirgends mächtiger herrscht wie auf dem Gebiete des Geschmacks, suchte man, nach dem man sich an der schlichten Ruhe satt gesehen, nach romantischeren Effekten; immer mehr trat das Mittel- alter in den Vordergrund. Statt der nüchternen Leere glatter Passaden suchte man sein Heil in der roman tischen Wirkung malerischer Gruppen und reicher Linien; Erkerfenster, Treppentürmchen, Maßwerk und Gewölbe leben auf. Man erobert aber nicht den Handwerksgeist des Mittelalters zurück, wie England das in der gleichen Bewegung tat und damit den Grund zu seiner zeit gemäßen Wohnungskultur 50 Jahre früher legte als das übrige Europa, sondern mehr die Aeußerlichkeiten blieben haften und, die malerische Wohnung wurde meist winklig und finster. Man blieb in jener unwirklichen Märchen stimmung stecken, in der sich auch die gleichzeitige deutsche Literatur mit Vorliebe tummelt.*) So kam es, daß genau wie in der großen geschichtlichen Stilentwicklung der Jahr hunderte die klassische Welt wieder gegen das Mittelalter den Sieg gewann, nicht mehr unter dem Schild der Antike, sondern unter dem Bild der italienischen Renaissance. Sie fand vor allem in Semper einen genialen Vorkämpfer. Italienische Renaissance Viele Züge in der Gestaltung des Wohn hauses wurden dadurch wiederbelebt, die auch in jener antikisierenden Zeitepoche galten. Man arbeitete wieder mit Achsen und Fas sadensystemen, mit Gesimsen und Säulen ordnungen, aber die Künstler faßten doch die Bauformen im allgemeinen kräftiger und saf tiger auf, und wenn wir heute solchen reich gegliederten Privatpalästen begegnen, wie Semper, Lucae, Hitzig, Ende oder Hansen sie in reicher Tätigkeit schufen, so spricht aus ihnen kein kleiner Geist. Ein architektonisches Gefühl und ein vornehmer Geschmack treten uns lebendig entgegen, aber kalt und stolz wirken diese Bauten in ihrem fremden Fest kleide und kein Zug führt aus dieser Sphäre des Palastes herüber zum alltäglichen Leben. Man konnte fürstlich bauen, nicht aber bürger lich, nicht einmal „patrizierhaft“, und wo man es mit diesen Mitteln versuchte, versagten sie. Das Fehlen der bürgerlichen Note ist entscheidend. Diese Lücke der Ausdrucksmöglichkeit mußte immer fühlbarer werden, je weitere Kreise als Bauende der Architektur ihre Aufgaben setzten. Der politische Auf schwung des deutschen Volkes in den siebziger Jahren brachte diese Ausdehnung der Bautätigkeit mit sich, und so kamen äußere Bedürfnisse und gekräftigte nationale Impulse zusammen, um die Wendung des Interesses immer mehr hinzulenken auf die deutschen Formen, welche sich in der Renaissance entwickelten. Ganz wie bei dem AViderstreit von Antike und Mittelalter, der vorausgegangen war, folgt nach dem kosmopolitischen Ideal wieder die Rückkehr zum nationalen. Deutsche Renaissance Damit war ein Gut der Architekturentwicklung des 19. Jahrhunderts endgültig gewonnen. Von diesem Zeit punkt an bricht eine künstlerische Entwicklung im Wohn bau nicht mehr ab, die ihre Ideale für die Gestaltung des Hauses wenigstens nicht mehr sucht in fremden Klimaten und unter fremden Rassen. Das ist ein wich tiger Schritt auf dem Wege zur Kultur des natürlichen Hauses, wie wir sie heute verstehen. Dieser erste Schritt führt allerdings nicht gleich zur Darmstadt *) Erst später kam man zur Verwendung der einfachen bürger lichen Motive mittelalterlicher Art. Nürnberger Anklänge, die mitteldeutsche Art der Verbindung von Putzflächen und Sandstein- gliederung (Karl Schäfer) und die Ausbildung norddeutscher Back steingotik führten zu reizvollen Arbeiten. eRosescnoss • Architekt AVienkoop, Darmstadt