BAUZEETUN FÜR WÜRTTEMBERG BADEN HESSEN EL SAS 8 - LOTHRINGEN* Stuttgart, 18. Mai 1907 Inhalt: Kunstgeschmack und Denkmalpflege im Lichte der neuen Bauordnung. — Evangelische Kirche in Königsberg a. Eger, Böhmen. — Die Architektur großer gärtnerischer Anlagen. — Vereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — Personalien. HAU5TEIN- Alle Rechte Vorbehalten Kunstgesclimack und Denkmalpflege im Lichte der neuen Bauordnung* Aus dem Inhalt des Entwurfs einer Bauordnung für Württemberg, mit dem sich die Ständekammer in Bälde zu befassen haben wird, haben wir schon vor einiger Zeit das Wesentlichste mitgeteilt. Der Entwurf enthält eine Reihe neuer Bestimmungen, die im Interesse des Fortschritts zu begrüßen sind; mit besonderer Genug tuung erfüllt es uns aber, daß die Vorlage auch den von der „Bauzeitung“ stets mit Entschiedenheit verfochtenen Schutz der Baudenkmale und die gleichermaßen befür wortete Ausgestaltung der Bauten und Anlagen nach ästhetischen und künstlerischen Gesichtspunkten zu den baupolizeilichen Obliegenheiten rechnet und dafür ganz bestimmte Direktiven gibt. In der ausführlichen Begrün dung, die dem Entwurf beigegeben ist, sind diese im einzelnen dargelegt. Wir geben daraus nachstehend die Hauptpunkte wieder: In der seit Erlassung der Bauordnung verstrichenen Zeit hat sich eine erhebliche Wandlung der Anschauungen vollzogen. In immer weiteren Kreisen bricht sich die Ueberzeugung Bahn, daß die Bauordnung von 1872, wie überhaupt die meisten älteren deutschen Bauordnungen die Interessen der Feuersicherheit und des Verkehrs allzu einseitig und vielfach in einem über das praktische Be dürfnis hinausgehenden Maße berücksichtigt und dem freien Baurecht des einzelnen ein zu großes Uebergewicht gegenüber den allgemeinen Interessen eingeräumt, ästhe tische, künstlerische oder ortsgeschichtliche Gesichtspunkte aber in ungerechtfertigter Weise in den Hintergrund ge rückt haben. Immer mehr wird in neuerer Zeit erkannt, daß beim Bauen in Städten und Dörfern die charakter- lose Nachahmung fremder Stil- und Zierformen zu verlassen und bei der einfachen volkstümlichen Bauweise früherer Zeiten wieder anzuknüpfen ist, und daß jeder Bau im Innern dem jeweiligen besonderen praktischen Bedürfnis entsprechen und dies in seinem Aeußeren wahr und ehrlich zum Ausdruck bringen, auch sich harmonisch in seine nächste Umgebung und die umgebende Landschaft einfügen soll. Namentlich aber hat sich die Einsicht durchgerungen, daß nicht alte Bauten von geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung ohne Not zerstört oder Verkehrs- oder feuerpolizeilichen Rück sichten geopfert und daß nicht (wie dies seither allzuoft geschehen ist) schöne alte Straßenbilder durch häßliche Neubauten verunstaltet werden dürfen. Die Fürsorge für die tatsächliche Verwirklichung dieser Anschauungen hat natürlich in erster Linie auf dem Weg der Belehrung und der Weckung und Ver allgemeinerung des Verständnisses für die heimatliche Kunst und für die Erhaltung ihrer Denkmale einzusetzen. Es ist auch in dieser Hinsicht seitens des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens, soweit es ohne gesetzliche Vorschriften möglich war, schon mancherlei Vorkehr getroffen worden; und ein Erlaß des Ministeriums des Innern vom 27. März 1902 weist zum Schutz der vaterländischen Kunst- und Altertumsdenkmale und um insbesondere ihrer Vernichtung, Beschädigung oder Ver schleuderung möglichst vorzubeugen, sämtliche seiner Dienstaufsicht unterstellten Behörden auf die in dieser Richtung bestehenden wichtigsten Vorschriften und Ein richtungen, das Konservatorium vaterländischer Kunst- und Altertumsdenkmale und die dem Konservator zur Beratung hauptsächlich in Restauratioussachen beigegebene besondere Kommission von Sachverständigen, die Staats sammlung vaterländischer Kunst- und Altertumsdenkmale, deren Zwmck und Verwaltung sowie das im Auftrag des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens durch den Konservator zur Veröffentlichung kommende, ein be schreibendes und illustriertes Inventar darstellende Werk: „Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg“, hin. Zugleich wird den bezeichneten Behörden der Auftrag erteilt, den Konservator in der Verfolgung seiner Aufgaben nachhaltig zu unterstützen, die darauf gerichtet sind, eine genaue Kenntnis aller Denkmale des Landes, seien es Bauwerke oder Werke der Bildhauerei, der Malerei oder des Kunstgewerbes, die öffentlich sichtbar sind und durch ihren Kunstwert oder auch durch geschichtliche Erinnerung Bedeutung haben, zu sammeln und hei deren Eigentümern, auch Privatpersonen, dahin zu wirken, daß sie solche Denk male in würdigem Stand und in ihrem eigentümlichen Charakter erhalten. Aber auch die Baupolizei hat in ihrem Teile zur Er reichung jener Ziele mitzuwirken. Eine solche Mitwirkung kann sich zunächst in wirksamer Weise betätigen bei der Gestaltung des Ortsbauplanes, der namentlich auch dafür Sorge zu tragen hat, daß öffentliche Baudenkmale eine ihrer Bedeutung entsprechende Zugänglichkeit, Lage und bauliche Umgebung bewahren und daß malerische und charakteristische Orts- oder Straßenbilder möglichst er halten bleiben. Aber auch die Möglichkeit einer von ideellen und ästhetischen Gesichtspunkten ausgehenden Einwirkung auf die Art der Ausführung der einzelnen Bauten, insbesondere wenn es sich um Bauwerke handelt, welche selbst von