WÜRTTEMBERG BADEN HESSEN ELr SASS - LOTHRINGEN* Stuttgart, 15. Juni 1907 Inhalt: Die Mietswohnung und ihre innere Gestaltung. — Interieurs. — Lesezimmer im Hotel Royal, Stuttgart. — Heber den Schiffzug auf Flüssen und Kanälen. — Die Rathauskonkurrenz von Feuerhach. — Vereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — Personalien Alle Rechte Vorbehalten Die Mietswohnung und ihre innere Gestaltung Von J. A. Lux!) Die Grundsätze, welche für die Gestaltung des AVohn- raums in der Mietswohnung in Betracht kommen, beziehen sich auf den Raum, die Gliederung der Wand, die Farbe, die Entwicklung der Möbelforraen. Sie seien der Reihe nach hier behandelt. Der leere Raum mit den ihn be grenzenden quadratischen Flächen der vier Wände, des Bodens und der Decke ist das Gegebene an der Miets wohnung. Die unerschöpfliche Aufgabe ist nun, diesen rechtwinkligen Hohlraum mitWohngerät auszufüllen und in zweckmäßiger und ästhetischer Art zu gliedern. Dadurch unterscheidet sich die Mietswohnung sehr wesentlich von dem modernen Eigenhaus, daß dieses den wesentlichen Teil des Mobiliars als unverrückbare organische Einheit mit der Architektur verbindet. Hier sind fast alle Schränke eingebaut, AVandnischen für Sitzzwecke u. s.w. vorgesehen. Im alten nordischen Bauernhaus sind sogar die Schlaf stellen in die Wand vertieft und verschalt. In der Miets wohnung sind dagegen alle künstlichen Holzeinbauten und die feste Verbindung der Möbelstücke untereinander ein Unfug. Hier ist alles auf Beweglichkeit gestellt. Es muß von vornherein damit gerechnet werden, daß das Hausgerät leicht fortzuschaffen und in einem andern Raum mit mehr oder weniger quadratischer Grundfläche aufstellbar ist. Aber das ist kein Grund, daß ein solcher Raum, der einigermaßen vom Nomadendasein bestimmt ist, einer ästhetisch befriedigenden Durchbildung ent behre. Ein großer Teil unsei-s allgemeinen und persön lichen Lebens beruht heute auf der labilen Grundlage des Mietswohnungswesens. Zwar geht die Tendenz dahin, die Menschheit in eignen Pamilienhäusern unterzubringen, aber der Zeitpunkt ist nicht abzusehen, da jede Familie im eignen Hause wohnen wird. Wenn die Kultur fort schreiten soll, dann muß sie bei den gegebenen Zuständen des Alltags einsetzen, bei der Mietswohnung, so sehr auch dieselbe als Uebergang erscheinen mag. Also hier wird die Aufgabe von vornherein anders gestellt werden müssen als beim Einzelwohnhaus, wo der Künstler die Freiheit hat, gänzlich Neues und Selbständiges zu schaffen. Für die Mietswohnung entscheidet das Einzelmöbel. Es ist die Aufgabe, im höchsten Grade rationell zu sein, !) Der Freundlichkeit des Verfassers verdanken wir die nach stehenden auszüglich wiedergegebenen Ausführungen nebst Abbil dungen, die in seiner Halbmonatsschrift „Hohe Warte“, Verlag von R. Voigtländer, Leipzig, ausführlich erschienen sind. was Raumausmaß und Zweckdienlichkeit betrifft. Das Möbel soll von vornherein die Bestimmung erfüllen, die ihm der Mietsraum auferlegt. Dabei soll es gut gearbeitet sein, in Materialbehandlung und Farbengebung, Konstruk tion u. s. w. alle Anforderungen des guten Geschmackes erfüllen. Es soll schön sein, schön im besten Sinne, auch ohne besonderen Schmuck und obendrein: es soll billig sein. Ein z weiter Grundsatz tritt zu dem ersten und kompliziert die Aufgabe. Das einzelne Möbel steht nicht allein im AVohnraum, wie etwa eine schöne Plastik allein im Raum stehen soll, es soll noch eine Beziehung zu andern Möbeln ausdrücken. Obwohl also das Möbel der Mietswohnung ein in sich fertiges und vollkommenes Stück ist, kommt für die Gestaltung des Wohnraumes das Verhältnis der Möbelstücke untereinander dennoch sehr in Betracht. Es wird davon abhängen, ob man den AVohnraum als schön empfinden kann oder nicht. Es gilt von vornherein an zudeuten, daß die formale Lösung des Mietswohnungs- problems von der Art abhängt, wie die Wand und die Grundfläche vom Hausgerät gegliedert wird. Die AVand selbst stellt nichts als eine räumliche Abgrenzung dar, die als solche noch keinen selbständigen Wert besitzt. Künstlerisches Leben empfängt sie erst durch die Gliederung in übereinstimmende harmonische Verhältnisse. Sonach zerfällt der leere Flächenraum in eine Anzahl von Raum- oder Flächengliedern, die unter einander in einer solchen Ordnung und Harmonie stehen sollen, daß sie nach menschlicher Auffassung schön er scheinen. Es ist logisch, daß die Aufteilung der leeren Wandflächen in eine Anzahl rhythmisch geordneter Raum glieder nach Maßgabe der quadratischen Grundform er folge. Man vergleiche ein holländisches Interieur von Pieter de Hooch, einen japanischen Raum und ein gut geordnetes Biedermeierzimmer. Jedem dieser Räume ist eine schematische Darstellung der Wandgliederung bei gegeben, um zu zeigen, was gemeint ist. Man wird auf den ersten Blick diese Räume als schön empfinden, ob gleich kaum irgendein besonderes Schmuckstück oder ein Kunstwerk wahrzunehmen ist. Sie sind schön durch die ruhige übereinstimmende Gliederung der Wand nach dem quadratischen Grundsatz. Der schematische Aufriß des holländischen Bildes zeigt den räumlichen Einklang von Tür- und Fensterrahmen, die sich in gleicher Höhe be finden. Der Wandausschnitt, der das Lager enthält, reicht ebenfalls zur selben Höhe. Unzweifelhaft ist in diesen