FÜR WÜRTTEMBERG BADEN HESSEN EL- SASS-LOTHRINGEN Stuttgart, 24. August 1907 Inhalt: Architektonische Aufgaben der Städte. — Wettbewerb Rathaus Feuerbaoh. — Die Platzfrage für den Neuhau des Kgl. Hoftheaters in Stuttgart. — Yereinsmitteilungen. — Kleine Mitteilungen. — Personalien. ■— Briefkasten. — Hilfe für Darmsheim! HKLIS'I LIN.' Alle Rechte Vorbehalten (Schluß) Architektonische Aufgaben der Städte Von Fritz Schumacher Noch allgemeiner zeigt sich dies Bedürfnis nach künst lerischer Lösung in den Schulhausbauten der deutschen Städte. Das Erfreuliche an der Wendung, die unter Münchens Führung sich vollzogen hat, liegt ganz be sonders darin, daß hier praktisch der Beweis erbracht wurde, daß das Streben nach Kunst bei solchen Bauten durchaus nicht gleichbedeutend ist mit dem Streben nach Prunk. Im Gegenteil, man hat ganz gebrochen mit dem Typus der verhungerten Paläste, die unsre Schulen längere Zeit hindurch darstellten. In einfachen Putzflächen ohne „Architektur“-Formen baut sie sich auf; der künstlerische Beiz liegt in der Gruppierung, der Farbenstimmung und der Verwendung bester, volkstümlicher Kunst an wenigen bevorzugten Stellen, etwa einem Portal, einem Wandbild, einem Dachreiter, einem Gitter. Mit seltener Schnelligkeit hat sich hier unter den Händen echter Künstler ein Typus gebildet, dessen Anregungen uns da besonders wohltuend wiederbegegnen, wo sie mit selbständigem Geiste weiter gebildet sind, wie z. B. in Halle und Bamberg. Es würde viel zu weit führen, hier auf Einzelleistungen einzugehen. Das Streben nach künstlerischen Schulen kann man in fast allen deutschen Städten beobachten; noch nicht immer äußert es sich in seinen Mitteln mit jener geistreichen Einfachheit, mit der eben nur der individuelle Künstler das Bedeutende zu schaffen vermag. Unter den Aufgaben der Städte stehen diesen Ein richtungen zur körperlichen und geistigen Pflege des gesunden Menschen mindestens ebenso umfangreiche Einrichtungen gegenüber zur Pflege des kranken und bedrängten- Menschen: Siechenhäuser, Krankenhäuser, Blindenanstalten, Irrenanstalten. Hier ist die Aufgabe weit schwerer, diese Bauten dem Charakter der strengen Notdurft zu entrücken, die ihren Anblick zu etwas Be drückendem macht. Wenn man früher einer gewissen Art vieltenstrigem Bauwerk in einer Straße begegnete, wußte man: es ist eine Schule oder ein Krankenhaus. Der Typus dieser Anlagen war in der Tat nur schwer zu unterscheiden. Heute beginnen sie sich in Gegen sätzen zu entwickeln. Während sich die Schule in ihrer stolzen Gruppe immer mehr zum Typus des öffentlichen Gebäudes herausbildet, zeigen die Anlagen von Kranken-, Siechen-, Irrenanstalten eine Neigung zum Charakter des bürgerlichen Wohngebäudes. Selbstverständlich begegnen wir stets auch noch jenen großen Baumassen, die aus langen Fluchten von Räumen und Korridoren bestehen. Sie können durch ihre Dachausbildung und durch das liebevolle Betonen eines einzelnen hervorragenden Punktes — etwa einer Kapelle — zum wohltuenden Eindruck eines freundlichen Klosters gebracht werden. Daneben aber hat das medizinische Bedürfnis in vielen Fällen zum Prinzip der Dezentralisation in kleine Einzelgebäude ge führt, und hier sehen wir (beispielsweise an der Irren anstalt in Ellen bei Bremen und in Bauten der Berliner Krankenhäuser), wie es unter Wahrung alles Raffinements in ärztlichen Anforderungen möglich ist, diesen Anlagen etwa den Charakter einer freundlichen Yillenkolonie zu geben. Man darf es als einen wirklichen Fortschritt unsrer Kultur begrüßen, wenn es gelingt, den Anstalten dieser Art das Gefängnisähnliche zu nehmen. Eine der schönsten Eigenschaften der Kunst ist ihre Macht, die traurigen Seiten des Lebens zu mildern. Geschieht das bei den Anstalten für Kranke und Leidende nach der Richtung hin, daß durch kunstvolle Anlagen die Note des Freundlichen in das Traurige ge bracht werden kann, so liegt die künstlerische Aufgabe bei allen Bauten, die dem Tode gelten, darin, das Traurige zum Feierlichen zu steigern. Nirgends hat sich das Geschäftsmäßige, in das unsre Kultur geraten war, wohl deutlicher gezeigt wie in unsern modernen Fried höfen. Rettungslos geht hier jedes Einzelbestreben zu grunde, wenn nicht künstlerischer Geist das Ganze an geordnet hat. Die architektonische Anlage muß Weihe geben, und was man hier an Stimmung erreichen kann, zeigen Grässels Arbeiten in München. Ruhige Würde, Feierlichkeit ohne Pathos ist das Ziel. Nicht viele Städte haben diesen Weg mit Erfolg beschriften. Meist be gnügen sie sich in der Hauptsache mit gärtnerischen Anlagen, die ja allerdings, wie der Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof zeigt, zu großartigen Wirkungen gebracht werden können, aber doch nur in den Bezirken der Reichen den parkähnlichen Charakter wirklich aufrechtzuerhalten vermögen. Zeigen nicht gerade diese Ungeheuern Parks, zu denen unsre Friedhöfe im besten Falle auswachsen, daß wir es hier mit einem System der Totenbehandlung zu tun haben, das beim steten Wachsen der Großstadt kaum noch in würdiger Weise durchführbar ist? Schon diese rein praktische Seite sollte, von allen ethischen und ästhetischen Erwägungen abgesehen, die Städte der Feuer bestattung näherführen. Sie liegt fast ausschließlich noch in den Händen privater Vereine und kann erst zu dem Stil und der Würde gebracht werden, deren sie fähig ist, wenn sich die öffentlichen Mächte ihrer annehmen.