267 24. August 1907 BAUZBITUNG Wettbewerb Rathaus Peuerbaoh. Motto: „Der neuen Stadt“. Angekaufter Entwurf Architekt Willy Graf, Stuttgart Berührungsstellen. Alle die wichtigen Lösungen, die nötig sind, um Wasser mit Land in Beziehung zu setzen, Häfen, Kai-, Brückenbauten, haben fast aus schließlich in den Händen von Ingenieuren gelegen. Aehnlich ist es mit den Bauten, die mit Bahnleitungen Zusammenhängen. Es hat sich dadurch ein ganz neues Reich baulicher Eindrücke entwickelt, in dem Brücken und Hochbahnen die führende Rolle spielen, ein Reich, das uns wohl am charakteristischsten ent gegentritt, wo es am wenigsten zusammen hängt mit Architekturgestaltung im üb lichen Sinne. Man kann auf diesem Gebiete viel leicht die größten Gegensätze wahrnehmen. Auf der einen Seite stehen Lösungen von Brücken und Uebergängen, die unter Zuhilfenahme von armiertem Beton ganz im Sinne der Steinarchitektur durch geführt sind. München hat sich in der großen Reihe seiner neuen Isarbrücken bestrebt, in schlichten, steinernen Bogen von großer Spannweite seine Aufgabe zu lösen, und man versteht hier ästhetisch das Zurückschrecken vor Eisenbauten vollständig. In den landschaftlichen Charakter des Tales fügen sich diese Brücken harmonisch ein, das Naturprodukt des Steines vermag sich eben mit der Landschaft, der es entstammt, im Eindruck zu verbinden; das künstlich verarbeitete Eisen, mag es noch so schön verwandt sein, findet keinen Anknüpfungspunkt in der Natur, es tritt deshalb stets in Gegensatz zur Landschaft. Das ist ein Gesichtspunkt, der wohl zu beobachten ist. Bei einer Steinbrücke kann man fast vergessen, daß ein Mensch sie ersonnen hat, bei einer Eisenhrücke nie. Deshalb haben aber Eisen konstruktionen durchaus nicht etwa ästhetisch etwas Minderwertiges gegenüber dem Steinbau. Ganz anders liegen beispielsweise die Yerhältnisse da, wo sie in einem Großstadteindruck sich einer Umgebung einfügen, die nur noch von Menschen und gar nichts mehr von Natur er zählt. Hier stellt sich unser Empfinden sofort richtig ein, und die feingeführten Linien des Eisenbaues, die Naturlinien gegenüber sich so schwer behaupten können, wirken zwischen den Formen der Menschenleistungen wie ein riesiges, durchgeistigtes Ornament. Die Teile der Berliner Hochbahn, die mit künstlerischem Sinn in Eisen durchgearbeitet sind, haben im Fluge Popularität er rungen bei Künstlern und Laien, und jeder, der beispiels weise nach Hamburg gekommen ist, wird im Großstadt eindruck des Stadtbildes den ruhigen Rhythmus der Doppelwellenlinien seiner großen Eisenbahnbrücken als etwas Stimmungsvolles empfunden haben. Kurz, wo wir prädisponiert sind auf Eindrücke, die mit den Organi sationen durch Menschengeist Zusammenhängen, wird die Ingenieurkunst stets die stärksten Trümpfe ausspielen. Sie ist die konzentrierteste Form, in der uns Geisteskraft sichtbar vor Augen zu treten vermag. Der ästhetische Mißton, der heute noch oft von Werken dieser Art ausgeht und verhängnisvoll werden kann für das Bild einer großen Stadt, liegt meist nicht am Ingenieur werk, sondern an der Architektur. Der Zusammenhang von Steinbau und Eisenbau bleibt meist ein ungelöstes Problem. Das Problem ist in fast allen Bauten, wo Stein und Eisen Zusammenwirken, ästhetisch betrachtet, dasselbe. Am charakteristischsten tritt es uns wohl ent gegen im Thema des Brückenpfeilers. Es liegt, kurz aus gedrückt, so; Eine verhältnismäßig kleine Masse Stein soll als Stützpunkt empfunden werden für eine verhältnis mäßig große Eisenentfaltung. Zu dieser äußeren Ver schiedenheit kommt noch als weiteres Moment hinzu, daß durch den Eisenbau, wenn er gut ist, ein einziger großer Gedanke klar und einleuchtend hindurchgeht. Dadurch wird der Maßstab dieses Architekturteiles in einer Weise gesteigert, die im Stein überhaupt schwer zu erreichen ist. Tritt nun der Steinarchitekt seiner Aufgabe ent gegen, als handle es sich um die Lösung etwa eines großen architektonischen Portals, und komponiert im Sinne einer Fassade aus Einzelmotiven ein schönes Ganze zu sammen, so wird er nie den inneren Anschluß an jene andre Welt gewinnen. Nur wenn er von allen Stil- und Architektureffekten im üblichen Sinne absieht und an seine Aufgabe herantritt vom Standpunkt eines Massen gedankens aus, nur wenn er es versteht, die Wirkung der ihm gegebenen Masse zyklopisch zu steigern, kann er hoffen, ein Bundesgenosse des Ingenieureindrucks zu werden. Dann kann er es vielleicht erreichen, daß inner- wtiw— f—.—r~ M/nat‘1:200 Architekt Willy Graf, Stuttgart