21. Februar 1914 BAUZEITUNG • 61 Aus dieser Lage ist ein romantischer Pessimismus er wachsen, den man gerade bei recht feinen und sensiblen Köpfen antreffen kann. Man hat gesagt: Die schöpferi schen Kräfte unserer Werkkunst sind mit dem Herein brechen des Industriezeitalters endgültig erloschen, weil der moderne Arbeitsprozeß der Betätigung dieser Kräfte direkt entgegengesetzt ist. Was hat uns denn die viel genannte Erneuerung des Kunstgewerbes gebracht? Nichts weiter als die Beschneidung des Ueberflüssigen, des Ueberladenen. Aber wo ist denn nun das Eigene, der „neue Stil“? Nichts weiter hat unsere Zeit im Grunde hervorgebracht, als den nüchternen „Zweckstil“, ange sichts dessen uns doch nicht recht wohl und behaglich werden will. Und doch ist er schließlich der ganz an gemessene Ausdruck des Rationalismus unseres „Zeit alters der Technik“. Alles, was darüber hinausgeht, sind Anleihen bei der Vergangenheit und umfangen uns nicht mit der Einheit eines Zeitstils. — Wir glauben nicht, daß wir zu diesem Pessimismus verurteilt sind. Wir verkennen allerdings nicht, daß im modernen Wirtschaftsprozeß Kräfte und Tendenzen walten, die geeignet sind, das Erstarken der gestaltenden Kräfte und die Veredelung der Produktion immer wieder zu beeinträchtigen. In diesem Sinne wirkt z. B. die Sucht nach Modernität, nach „Neuheit“, durch die alles kaum Erstandene, noch ehe es gereift ist, sofort von zweit rangigen Geistern in die Breite getrieben und verkitscht wird. Das Unausstehliche am „Jugendstil“ waren ja nicht so sehr die Produktionen der paar führenden Geister, die in ihrer Naivität, neue Formen einfach aus der Erde zu stampfen, immer wieder etwas Rührendes hatten, sondern die große Flut der verrenkten Massenerzeugnisse. Das scheint weit zurückzuliegen, aber man denke an die „Futuristenblusen“ oder an die pseudo — Wiener Druck stoffe: immer wieder dasselbe, daß aus jedem Neuen so fort eine neue Mode und eine neue Banalität gemacht wird. Solche Betrachtungen führen darauf, daß viel mehr als nach einem neuen Stil zu rufen, es not tut, über manche produktionsverderbenden Tendenzen unseres Wirtschafts lebens eine Besinnung herbeizuführen. Wie soll ein Produzent die „Liebe“ zum Produkt haben, wenn er seine Produktion nur unter dem Gesichtswinkel der geringsten Herstellungskosten betrachtet, wenn es ihm nur darauf ankommt, die neuesten Dessins möglichst bald auf den Markt zu werfen, und wenn er von vornherein damit rechnen muß, die Hälfte der Produkte nach Ablauf der Saison als unverkäuflich zurückzuerhalten? Soll die Liebe zum Produkt wiederkommen, beim Pro duzenten wie beim Publikum, so muß die erste Forderung sein: Veredelung der Qualität des Produktes, Beseitigung alles Unechten, Falschen, Scheinhaften, kurz Ausstattung mit allen Eigenschaften, die wir von einem Gegenstand fordern, der unserer Liebe wert sein soll. Diese Forde rungen sind gewiß nicht neu, und wir freuen uns, daß sie nicht neu sind. Auf ihrer Grundlage ist im Jahre 1907 der Deutsche Werkbund gegründet worden, und seither hat er in regelmäßigen Tagungen den Gedanken der Pro duktionsveredelung vielfach verkündet. Wo aber ansetzen, um diesen Gedanken in großem Umfange zur Tat zu bringen? Wir haben ja gesehen, wie große Gegenkräfte in der Natur des modernen Ar beitsprozesses gegeben sind. Wie die Einheit der Her stellung zumeist zerspalten ist in eine Vielheit der Phasen, die das Produkt von einer Hand zur andern durchläuft, ebenso ist in unserer Zeit bekanntlich die Einheit des Ver hältnisses von Produzent und Abnehmer zersprengt wor den. Der Produzent arbeitet nicht mehr für den bekann ten Besteller, von dem er weiß, daß er die Qualität seines Produktes zu schätzen weiß, sondern für den unbekann ten Markt. Soll nun eine Anerkennung der Qualitätspro- Siebeldingen (Pfalz) Erbaut um 1568 Nach Aufnahme von Bauwerkmeister Wacker-Feuerbach duktion wieder erreicht werden, so muß auf alle Faktoren eingewirkt werden, die an dem wirtschaftlichen Phänomen des Marktes beteiligt sind. Es nützt nichts, im kunst gewerblichen Unterricht eine Hebung des Niveaus zu erstreben, wenn dann der junge Gewerbezeichner mit seinen Entwürfen nur der überlegenen Ablehnung des Fabrikanten begegnet, der ihm vorwirft, er verstände nichts davon, was verlangt wird. Es nützt die idealste Propaganda nichts, wenn ein wirklich wohlbestrebter Produzent an seinen Umsatzziffern spüren muß, wie hart er auf die Verständnislosigkeit des Publikums stößt. Soll auf den Markt in allen seinen beteiligten Faktoren mit der Kraft der Anschauung eingewirkt werden, so gibt es nur ein Mittel: Die Ausstellung. So hat sich der Deutsche Werkbund entschlossen, im Jahre 1914 auf einer Ausstellung in Köln zu zeigen, was an Qualitätsverede lung heute bereits geleistet wird. Man darf auf die Aus stellung füglich gespannt sein. Das Zeichen des D. W.B. ist heute schon eine Kennmarke, die zum äußersten ver pflichtet. Die Ausstellung 1914 wird gewissermaßen die Ent scheidung über den Werkbundgedanken bringen. Denn dieser Gedanke enthält, verhehlen wir es nicht, eine dop pelte Tendenz: einerseits strebt er nach allgemeinster Ver wirklichung und möchte alle Arbeit in seinem Zeichen einen, andererseits enthält er ein aristokratisches Moment, eben die Qualitätsforderung.