Abteilung VIII. Figuren aufgestellt wurden. Solche Baldachine sind an Strebepfeilern neben Portalen, im Innern an den Jochpfeilern und an den Prachtausstattungs stücken des Innern beliebt gewesen. Auch hier äußert sich die ungeheure gotische Architektonik. Auf der polygonalen Form der Überdachung ent stehen ganze Bauwerke im kleinen; man sieht auf Fig. 1—3 Choranlagen, eine sogar mit Querschiff. Es sind förmliche Architekturmodelle; Wucherungen architektonischen Schaffens, die stets den Anfang vom Ende und einen völligen Mangel an Empfin dung für das wahre Ornament zeigen. Tafel 91. Häuser zu Cluny. Daß die mittel alterlichen Häuser am architektonischen Apparat des Kirchenbaues teilnehmen, ist selbstverständlich. Aber die bürgerlichen Fassaden werden nicht zu jener architektonischen Einheit und Folgerichtig keit entwickelt, weil sie nicht der Ausdruck einer fest umrissenen Raumform sind, sondern sich viel fachen Raumbedürfnissen anpassen müssen. Im allgemeinen sind die Stadthäuser auf schmalen, tiefen Grundstücken erbaut, sie haben also schmale Fronten. Ihre tiefen Stuben brauchen viel Licht, daher die langen Fensterreihen, bei denen aller dings auch die mangelhafte Lichtdurchlässigkeit der Verglasung maßgebend war. Eine strenge Komposition im Sinne gleichmäßiger Achsen kommt selten vor. Erst die Spätgotik hat großzügige gotische Profanfassaden geschaffen. Tafel 92. Kaufhäuser. Bei öffentlichen Bauten, wo ein großer Raum durch eine lange Reihe von gleichen Fenstern sich äußern konnte, war die Gelegenheit zu einer bewußten Kompo sition eher gegeben. Bei solchen Bauwerken mischen sich die Motive des Burgen- und Festungs baues mit den kirchlichen Formen. Ecktürme und Zinnen sind beliebte, meist rein dekorative Zu taten. Die strenge Teilung in Fig. 2 ist fast schon schematisch und nüchtern, sie erinnert an die niederländischen Hallen, mit denen der Kölner Bau verwandt ist. Tafel 93. Bürgerhäuser des 14. Jahr hunderts. In Nordburgund und im ganzen Westen Deutschlands ist beim Bürgerhaus die Giebelseite der Straße zugekehrt. Das gibt zu verschiedenen Lösungen Anlaß, je nachdem das Dach, wie bei ländlichen Bauten, vorgezogen ist oder eine Giebelmauer die Dachlinie verdeckt. Die Gotik hat sich dabei meist des Treppengiebels bedient, in schlichter oder in reicher Ausbildung (Fig. 2). Dachformen wie in Fig. 1 dagegen sind in Burgund und in der Westschweiz üblich, in Deutschland nicht. Die hohen Fensterformen weisen auf eine stark entwickelte Raumkultur im Bürgerhaus; das zeigt auch der Grundriß Fig. 1 b. Tafel 94. Rathaus in Münster (West falen). Deutlich wird durch die Laube, durch das reiche Hauptgeschoß und die ganze aufwen dige Bildung die Bedeutung des Baues gekenn zeichnet. Überspitze Arkaden auf derben Rund pfeilern unten, darüber vier große Maßwerkfenster und zwischen ihnen Statuen unter zierlichen Bal dachinen, darüber ein gewaltiger Giebelaufbau, dessen Gliederung und Ausstattung mit der unteren Teilung nicht übereinstimmt. Doch gehört er in der Masse mit dem unteren Teil dem 14. Jahr hundert an. Aber die Gliederung mit Mauer pfeilern und Fialen, die Bekrönung der Staffeln mit Maßwerk und der ganze Firstschmuck sind Zutaten des virtuosen 15. Jahrhunderts. Fast ist eine kirchliche Gotik daraus geworden, doch fehlt ihr die innere Notwendigkeit. Immerhin ist die Umrißlinie nicht ohne Reiz. Daß solche Bildun gen das Ende einer Stilentwicklung darstellen, wird nach all dem Gesagten deutlich sein. 145 Egte, Baustil- u. Bauformenlehre. Text von Fiechter. 146 10