Claude Schnaidt die formgestaltung der grenze an sich - die gestaltete konstruktion, die für die neuen bauweisen und materiali- en wesentlich ist, wird vom designer ausgeführt.die schöpferische tätigkeit des architekten wird dadurch nicht entbehrlich. architektonik ist der systematische inhalt der architektur. aufzeigen und formulieren dieses inhalts ist eine wissen- schaftliche tätigkeit.das resultat dieser tätigkeit ist eine architektur-theorie.-ohne die unterscheidung in methode und resultat wird der gesamtkomplex der architekturwis- senschaft mit architektonik bezeichnet. die neuformulierung der architektonik ist notwendig, da sie seit vielen jahrhunderten verloren gegangen ist. die eklektischen stilepochen haben sich empirisch an den bauwerken der vergangenheit unterrichtet und weitgehend nur in nachahmung oder nachempfindung betätigt. das neue bauen fordert deduktive neuentwicklung, nicht nachahmen eines baustils, auch nicht eines technischen oder eines kubischen stils. um selbständig deduktiv entwickeln zu können, müssen die grundsätze der funktion, des raumes und der raum- grenzen wieder klar formuliert werden, so, wie sie im klassischen altertum oder im frühen mittelalter bei den bauhütten bekannt waren. dabei handelt es sich um kla- re kategorien - wie in der malerei: z.b. linie - farbe - helldunkel, oder in der musik: z.b. rythmus - melodie - klang. in diesen künsten wird die theorie sehr sorgfältig gepflegt - in der baukunst nicht. ‘ @() Ich weiss nicht recht, was der Begriff Architektur heute umfassen sollte, Sicherlich vieles, Ich teile jedoch nicht die Meinung von Auguste Perret, dass "alles das, was mobil und immobil im Raum ist, in das Gebiet der Archi- tektur gehört". Was ich aber weiss, ist, dass die bereits jetzt schon kränkelnde Architektur den Anspruch, umfas- send zu sein, aufgeben muss, wenn sie sich nicht auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung stützt. Heutzutage hat der Architekt Aufgaben wahrzunehmen, deren Komplexität und Mannigfaltigkeit ohne Beispiel in der Vergangenheit sind, Er muss planen für eine anonyme Menge von Verbrauchern, deren Bedürfnisse er höchstens aus der Statistik kennt. Er muss die immer-zahlreicher werdenden technischen Möglichkeiten beherrschen. Sach- gerechte Lösungen für die Probleme, die aus dieser neuen Situation resultieren, sind nur durch wissenschaftliches Forschen und systematisches Experimentieren zu finden. Das eben Gesagte ist nicht Ausdruck eines Glaubens an die Unfehlbarkeit der Wissenschaften, sondern bezieht sich auf die Feststellung der Überlegenheit einer Metho- de, die Glauben gegen Tatsachen tauscht. Die wissenschaftliche Methode lehrt, dass bei konkurrie- renden Gesichtspunkten Tatsachen allein entscheiden müssen. Die Fakten müssen genau erkannt, gemessen, chiffriert und eingeschätzt werden. Die wissenschaftliche Methode beginnt mit der systematischen Beobachtung der Realität, von dieser Beobachtung führt sie durch Schluss- folgerung zur Hypothese, versucht, diese experimentell zu bestätigen, um zur Schlussfolgerung zurückzukehren, wenn sich die Hypothese nicht bestätigt. Deshalb sind wissenschaftliche Ergebnisse zuverlässig. Wenn sie dies nicht sind, so ist der Grad der Wahrscheinlichkeit be- kannt, Sie sind nicht unabhängig und isoliert, sondern in einem zusammenhängenden System integriert, in dem die Teile das Ganze - und umgekehrt - erklären. Auf diese Weise erlaubt die Wissenschaft eine immer präzi- sere Anpassung unseres Geistes an die Wirklichkeit. Sie vermittelt eine immer adäquatere Vorstellung von der Welt mit dem Ziel, aus dem Verständnis heraus zur Vor- hersage und Aktion zu gelangen. Sie werden entschuldigen, dass ich mit Nachdruck auf diese Banalitäten hinweise. Sie werden aber zugestehen müssen, dass das für die Mehrzahl der Kollegen notwen- dig ist. Die Menschen würden kaum Verständnis dafür aufbringen, in einer unbewohnbaren Welt leben zu müs- ARCH + 1(1968)H1