DISKUSSION Franz Kerschkamp EDU - CREATION Ein Buch von Paul Ritter Im Zusammenhang mit der notwendigen Reform des Studiums ist das Buch "Educreation - education for creation, growth and change" (Paul Ritter, Pergamon Press, 380 $‘,, London 1966) von grundlegender Bedeutung, da es eine der seltenen Ab- handlungen ist, die die gesamte Problemstellung aufgreift. Paul Ritter wurde 1925 in Prag geboren, 1939 emigriert er nach England, 1965 zieht die Familie mit sechs Kindern nach West-Australien. Der Autor hat mehrere Disziplinen studiert, seine praktische Tätigkeit reicht vom Bergbau über die Landwirtschaft zu mehreren Jahren Lehre und Praxis in Umweltgestaltung. Seine Forschungstätigkeiten bezogen sich unter anderem auf Erziehungs- und Wohnung bauten. Außerdem wirkte er beim Board of Architectural Education des Royal Institute of British Architects mit, Er ist zur Zeit Stadtplaner und Architekt von Perth in West- Australien. Das Buch umfaßt eine kritische Darstellung der bestehenden Ausbildungstechniken und die Suche nach alternativen Verfahren, die einem Zeitalter, das erhöhten Bedarf an ständiger Erweiterung, Veränderung und Kreativität auf- zeigt, besser angepaßt sind. Davon ausgehend führt der Autor über allgemeine Auswirkungen seines Konzepts zu speziellen Anwendungen in Ausbildungsstätten für Archi- t+ekten und Umweltaestalter . Der Begriff "educreation'" wird vom Autor begründet mit der neuen Begriffskoppelung von Selbstregulierung - Kooperation - therapeutische Sicht der Problemstellung statt Zwang - Wettbewerb - moralistische Beurteilung. An allgemeinen Auswirkungen des Konzepts "edu- creation" sind vor allem folgende Punkte hervorzuheben. (1) Das erste Semester bzw. das erste Jahr sind ausschlag- gebend für die Einstellung des Studenten zu seinem Studi- um, vor allem durch die Entwicklung des Bewußtseins seiner Motivationen. (2) Die zwei hauptsächlichen Funktionen des Lehrens müs- sen klargestellt und dementsprechend verteilt werden. 41 a) Lehren durch Tutoren: ständiger, vollzeitlich anwesen- der Stab, der sich mit der integrierten Entwicklung von Einzelnen und von Gruppen beschäftigt. b) Beraterstab: zeitweilige Inanspruchnahme des Reser- voirs an Information und Lehrfähigkeit der Berufs- und Gesellschaftsgruppen in Bezug auf spezielle Objekte und Fertigkeiten. (3) Vorlesungen und Wissensprüfungen werden ersetzt durch Lernen an Projekten, schriftliche Berichte und Diskussionsseminare . Das Hauptgewicht liegt auf der Fähigkeit, Fragen zu stellen, auf kritischem Bewußtsein, nicht auf gespeicherten Antworten. Verfahren der Zu- sammenarbeit werden eingesetzt. Die Beurteilung basiert auf der laufenden ständigen Arbeit der Studenten, nicht auf einmaligen Prüfungen. (4) Lehrhilfen müssen kreativ genutzt werden. Hilfen wie Schreibmaschine, Film, Telephon, Photo, Bibliothek müssen Bestandteil aller Phasen der Ausbildung sein. Lehr- maschineneinsatz wird vorsichtig vorgeschlagen. (5) Die wichtige Rolle der studentischen Wohnung bzw. ihrer Umwelt, sowie deren Auswirkungen auf eine selb- ständige Gestaltung, wird auch in Bezug auf das sexuelle Verhalten der Studenten diskutiert. (6) Die Verwaltung muß ein Management für die ständige Erneuerung der Ausbildungsstätte werden und nicht für das ständige Verharren. (7) Die jetzigen üblen Auswirkungen der Gesellschaft auf die Umstände des Studierens werden daraufhin untersucht, wie sie durch eine therapeutische Betrachtungsweise richtig gestellt werden können. Spezielle Auswirkungen und Anwendungen auf Ausbildungs- stätten für Architekten und Umweltgestalter werden in Fülle angeführt. Daraus einige: - Auswahl der Studenten Aus dem Konzept der "educreation" folgt, daß es nicht darum geht, möglichst solche Studenten zu selektieren, die Architekten werden können, sondern denjenigen, die Architekten werden wollen, dabei zu helfen. Das bedingt bei Platzmangel der Ausbildungsstätte, daß nicht ein Verfahren angewendet wird, das bestimmte Merkmale der Studenten herauszufiltern versucht, son- dern eines, das ein reines Auslosungsverfahren ist, Professoren sollten Tutoren sein. Alle Professoren, die jetzt noch nicht ständig den Studenten zur Verfügung stehen können, würden viel bessere Berater ergeben. Die Ausbildungsstätten sollten vertikal in Großgruppen von 150 Studenten (mit einem Professor als Tutor) und in Klein- gruppen von höchstens 18 Studenten aller Semester (mit ständigem Tutor) organisiert werden. Dabei ist jeder Stu- dent Projektleiter für ein Projekt (Entwurf oder Arbeit anderer Art) und Helfer bei einem anderen Projekt. Vorteile sind: - Kennenlernen einer ganzen Reihe von Arbeiten, Kennenlernen der Vorgehensweise von anderen, Differenzierungsmöglichkeiten in der Gruppe, Anwendung der Kooperation statt Weiterführung der schulischen Wettbewerbssituation. Eine Fülle weiterer konkreter, zum Teil durchgeführter Experimente bestimmen dieses Buch zur Lektüre aller in der Studienreform engagierten Personen; trotz der stellenweise durch die Fülle der Sprache und des Materials bedingten Längen und Verständigungsschwierigkeiten. ARCH +2 (1969) H.5