2. ABSCHNITT DIE LETZTE PHASE DES HERAUSWACHSENS DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT AUS DER FEUDALEN PRODUKTIONSWEISE, DAR- GESTELLT ANHAND DER THEORETISCHEN AUFFASSUNG DER GRUNDRENTE BEI DEN PHYSIOKRATEN, ADAM SMITH UND DAVID RICARDO I. DIE PHYSIOKRATEN Im ersten Teil unserer Darstellung haben wir gesehen, daß die Geschichte der sogenannten ursprünglichen Akkumu- lation — also der Prozeß, in dem das Kapital zugleich sich selbst setzt als auch aus vorherigem Nicht-Vorhandensein gesetzt wird — ökonomisch sich darstellt in der Verwand- lung des feudalen Grundeigentums in das moderne Grund- eigentum. Die kapitalistische Form der Gründrente 26), d. h. der Zins auf die Vermietung des aller natürlichen Bande an seine Eigentümer gelösten Bo- dens, mit denen ihn nichts mehr verbindet als die für ihn gezahlte Kaufsumme, ist somit die erste spezifische Form des bürgerlichen Reichtums. Sie ist sozusagen das Kapital in seiner Bestimmung als abstrakter Reichtum, aber noch nicht als sich selbst heckender Wert und Mehrwert — als der das Kapital erst in seiner fertigen Form der großen Industrie voll bestimmbar ist — sondern noch in feudaler Hülle befangen. Dieser Zustand ist der ökonomische Aus- druck des historischen Widerspruchs des Kampfes zweier Produktionsweisen: der untergehenden feudalen und der aufkommenden bürgerlichen. Das kapitalistische Grund- eigentum ist zugleich Geschöpf wie Schöpfer des Kapitals, Es entstand durch die Aktion des Kapitals auf die alten, feudalen Formen des Grundeigentums und stellte dann auch aus sich heraus das Kapital entgültig auf eigene Füße, indem es den modernen Lohnarbeiter schuf, den „anderen Menschen, der freiwillig seine Arbeitskraft zu verkaufen gezwungen ist”, ohne den das Kapital nichts ist als ein Haufen nutzlosen Zeugs, ob nun als Geld oder als Arbeits- mittel. Im Begriff wie in der historischen Realität des mo- dernen Grundeigentums steckt daher ein Widerspruch: als Grundeigentum ‚, als Rechtstitel auf ein Stück Erdoberfläche, istes feudal; als moder- nes Grundeigentum, als verschacherbarer Rechtstitel auf ein Stück verschacherbarer Erdoberfläche, mit dem man nicht den Boden als solchen, sondern nur die Grundrente (praktisch als Zins für das im Bodenpreis verauslagte Kapital) erwirbt. ist es kapitalistisch.27) 26) Vgl. MEW 25, a.a.U., S. 790 ff. 27) Es ist im übrigen an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß dieser Prozeß der Umwandlung des feudalen Grundeigen- tums in modernes ein historisch notwendiger ist (der nicht etwa mit Bedauern zu konstatieren ıst). Denn auch im „gemütlichen” Feudaleigentum liegt bereits das Wesen der verschacherten. von wenigen auf Kosten von vielen ange- Die Theoretiker des modernen Grundeigentums, damit die Theoretiker des Agrarkapitalismus, waren die Physiokraten. Inihrer Theorie ist die Widersprüch- lichkeit des modernen Grundeigentums handgreiflich, gleichzeitig sind sie vom Standpunkt der Kritik der Poli- tischen Ökonomie aus betrachtet die „eigentlichen Väter der modernen (meint hier: klassischen) Ökonomie” 28), da sie die ersten waren, die die Entstehung des Mehrwerts — das Grundproblem, quasi die Gretchenfrage der klas- sischen Ökonomie — aus der Produktion heraus erklärten. Diese erste richtige Lösung des Problems der Herkunft des Mehrwerts geschah aber nicht in England, dem ersten und ältesten Land mit bürgerlicher Produk- tionsweise, sondern in Frankreich, einem vergleichsweise rückständigen Land, in dem sich der Prozeß der ursprüng- lichen Akkumulation viel später abspielte und das zur Zeit der Physiokraten noch ein rein ackerbauendes Land war. Auch dies ist als notwendig und nicht als zufällig zu begreifen, wie wir zeigen werden. Zunächst wollen wir je- doch in aller Kürze die Theorie der Phvsiokraten darstellen. Bevor Marx in den „Theorien über den Mehrwert” den Rei- gen der kritischen Behandlung all jener bürgerlichen Theo- retiker, die sich aufgrund ihrer Beschäftigung mit dem Ur- sprung des Mehrwerts den Namen „Ökonomen” verdient haben, mit den eigentlichen Vätern der Klassischen Ökono- mie, den Physiokraten, beginnt, geht er, quasi propädeu- tisch, kurz ein auf den letzten und besten Vertreter der „vorwissenschaftlichen Ökonomie”, Sir James Steuart. Die „vorwissenschaftliche Ökonomie” erklärt den Mehrwert aus dem reinen Austausch, d. h. also aus dem Verkauf der Ware über ihren Wert. Steuart.nun ist deshalb der „rationellste Ausdruck” jener Auffassung, da er immer- hin nicht mehr, wie die Ideologen des Monetar- und Merkan- tilsystems, von dem Wahn befallen ist, daß der Verkauf der Waren über ihren Wert eine positive Vermehrung des Reichtums sei 29) Steuart unterscheidet nämlich, allerdings ohne diese Unter- scheidung weiter analytisch zu verfolgen, zwischen poSi- tivem und relativem Profit. Positiver Profit ist für Steuart Vermehrung von stofflichem Reichtum, be- deutet für niemanden einen Verlust, wohingegen relativer eigneten’ Erde; das’schändliche Monopol auf Stücke des un- erläßlichen Lebenselements allet Menschen. Marx schreibt hierzu in etwas pathetischem Tonfall der „Pariser Manu- skripte”: „(Es ist) nötig, daß das Grundeigentum, die Wurzel des Privateigentums, ganz in die Bewegung des Privateigentums hineingerissen und zur Ware wird, daß die Herrschaft des Eigentümers als die reine Herrschaft des Privateigentums, des Kapitals, abgezogen von aller poli- tischen Tinktur erscheint, daß das Verhältnis zwischen Ei- gentümer und ;Arbeiter sich auf das nationalökonomische Verhältnis von Exploiteur und Exploitiertem reduziert „.. Es ist notwendig, daß, was die Wurzel des Grundeigen- tums ist, der schmutzige Eigennutz, auch in seiner zynischen Gestalt erscheint.” (zit. nach K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Leipzig 1970, S. 145). K. Marx, Theorien über den Mehrwert, Teil 1, Marx-Engels- Werke, MEW 26.1, Berlin, DDR 1971, 5. 12. Vel. dazu auch MEW 23, a.a.O., $.75. 28) 29)