Dietrich Stahlbaum Otto-Hue-Straße 38 4350 Recklinghausen Tel. 02361/447 11 Anmerkungen: 1) s.a. Roland Günter, Fotografie als Waffe. Geschichte der sozialdokumentarischen Fotografie. VSA-Verlag 2) Alltag 1, VSA-Verlag. 3) wie 1). Projekt: Industrielles Erbe Die Industrielle Revolution entstand in England und setzte sich kurz danach in Belgien fort. Aber was wissen wir davon? Unsere Geschichtsbilder sind nach wie vor geprägt vom Adel und von der Kirche, von Ludwig und Napoleon. Ist das wirklich unsere Geschichte? Die Geschichte der breiten Bevölke- rung? Kommen die Leistungen und Leiden von Generationen, auf deren Schultern unsere gegenwärtige Welt ruht, in unse- ren Geschichtsbüchern zum Ausdruck? Fügen wir zum ersten Unrecht an vielen Generationen, die oft regelrecht verschlissen wurden, das zweite Un- recht hinzu: daß wir ihre Leistungen und Leiden vergessen? Der belgische Historiker Adriaan Linters hat einige Jahre lang in Flan- dern im Rahmen der Inventarisation von Denkmälern die Bauten der histo- rischen Industrie aufgespürt, beschrieben. fotografiert, katalogisiert und vieles zu retten versucht. Nun hat die belgische Provinz Lim- burg im Rahmen der Vorbereitungen zur 150-Jahr-Feier des belgischen Staa- tes Adrian Linters mit der Leitung eines Projektes beauftragt, das neben einem ganz ähnlichen in Nürnberg einzigartig in Europa ist. Das „Projekt Industrielles Erbe’ ver- sucht — ähnlich wie in Nürnberg — die Industrie-Kultur (in Polen würde man „materielle Kultur’ sagen) zu erfor- schen und auf mehreren Zugangswegen für die Bevölkerung zu erschließen. Das Projekt ist großzügig mit Finanz- mitteln ausgestattet und ermöglicht eine profunde Arbeit. In Zusammen- hang mit einem Landesdenkmalamt, dessen unkonventionelle Arbeitsweise vorbildlich ist, inventarisieren Adriaan Linters und seine Mitarbeiter die wich- tigsten Industrieorte der Provinz Lim- burg. Mehr noch: es bleibt nicht bei wissen- schaftlicher Arbeit im stillen Kämmer- lein, nicht beim Gelehrtenaufwand, der sich in der Stube verzettelt und die Be- völkerung „außen vor läßt”, das Projekt macht nach kurzer Zeit Ausstellungen mit dem vorhandenen Material sowie billige Umdrucke — ganz und gar unfer- tig und ohne Anspruch auf Vollständig- keit (aber erstaunlich reichhaltig). Diese Weise der Präsentation ist nicht nur pragmatisch, nicht nur billig und kraftspa- rend, sondern sie appelliert vor allem an die Bevölkerung in den einzelnen Orten, selbst mitzumachen: kleine Gruppen zu gründen, die Material sammeln, die mündlichen Berichte alter Leute aufzeich nen und dadurch über die ganze Provinz hin ein lebendiges Netzwerk an Tätig- keit bilden. Die offizielle Eröffnung des Projek- tes legte bereits einiges vor: ein Inven- tar des hochinteressanten Bergbau-Ortes Beringen. Am 29. Oktober 1979 gab der Regierungspräsident der Provinz Limburg den Startschuß. Der Autor dieses Berich- tes hatte die Aufgabe, den Fest-Vortrag mit dem Thema „Soziale Architektur und ihre Elemente” zu halten — was auch die Ambition der Veranstalter zeigte, aus der Vergangenheit Lehren für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zu ziehen, sprich für Architek: tur und Stadtplanung der Provinz. Am Nachmittag fuhren die Teilneh- mer ins Bergwerk Beringen ein, in dem zu dieser Zeit gerade ein wilder Streik stattfand. Kontaktadresse des Projektes: Pro- jekt Industrieel Erfgoed, t.a.v. Adriaan Linters, Begijnhof 39, 3800 Sint Trui- den, Tel. 011—67 65 79. ARCHT* wird über den weiteren Fort- gang ebenso berichten wie in Kürze über das Nürnberger Projekt „‚Industrie-Kul- tur". Roland Günter