Dietrich von Beulwitz Georg Knacke Mieterselbsthilfe im mehrgeschossigen Wohnungsneubau Problemstellung und Ausgangssituation Die zukünftigen Mieter von Neubauwoh- nungen (Sozialer Wohnungsbau, steuerbe- günstigter oder freifinanzierter Wohnungs- bau) werden in aller Regel weder bei den För- derungsrichtlinien, noch bei der Planung, noch bei der Bautätigkeit berücksichtigt. Es findet eine Produktion ohne Marktforschung statt. Ermöglicht wird dies u.a. durch die Ob- jektfinanzierung und die bisher sichere Ver- mietung im Neubau. Im Zeichen der Dauerkrise der Wohnungs- baufinanzierung, dem Leerstand von Neubau- wohnungen in Berlin und nicht zuletzt auf- grund der nachweisbaren sozialen Schäden von Mietern in anonymen Neubaugebieten (Isolation von Alleinstehenden, Vandalismus bei Jugendlichen) besteht die Notwendigkeit einer umfassenden Beteiligung der Bewohner an der Wohnungsplanung und Durchführung. Gleichzeitig liegen - bedingt durch steigende Arbeitslosigkeit einerseits und immer geringe- re Arbeitszeiten in der Arbeitswelt anderer- seits - große Potentiale an schöpferischem Ar- beitswillen brach, die erschlossen werden sollten. Im Bereich der Altbaumodernisierung sind bereits viele erfolgreiche Beispiele bekannt. Zahlreiche Erfahrungen im Bereich des Selbstbaus bei Eigentumsmaßnahmen sind ebenfalls für unser Thema wichtig. Im mehr- geschossigen Mietwohnungsbau gibt es bisher nur eine geringe Zahl von versuchten Mitpla- nungsmodellen. Eine Folge von administrati- ven Hindernissen und Desinteresse von Bau- trägern, die es zu überwinden gilt. 2. Personenkreis Nach Befragungen der letzten Zeit suchen ca. 10% aller Berliner Wohnungssuchenden eine Eigentumswohnung, aber 90% wollen zur Miete wohnen. Von diesen 90% bevorzugen die Hälfte, also etwa 45% eine (auch moderni- sierte) Altbauwohnung, die restlichen 45% wünschen Neubau, die überwältigende Mehr- heit der Nachfragenden ist auf niedrige Mie- ten angewiesen. Der Berliner Markt ist geteilt: teure Wohnungen gibt es genug, und die Vorliebe für Altbau beruht nur zum Teil auf der hohen Nutzungsqualität der durchweg größeren Räume und der meist innerstädti- schen Lage. Kreuzberg und der Wedding platzen aus den Nähten, weil die Bewohner woanders die Miete nicht zahlen können! 3. Ort Das Thema der IBA - die Innenstadt als Wohnort - ist direkt durch die dargestellte Problematik angesprochen, das vorgeschlage- ne Projekt ’Selbsthilfe im Mietwohnungsneu- bau’ will auch als Beitrag zur IBA-Diskussion verstanden werden. Denkbar ist ein erster Standort in den Neubaugebieten der südlichen Friedrichstadt und in Kreuzberg SO 36. Ausgenommen sind Bereiche, wo sich die be- sondere Problemstellung des Mieterselbst- baus und die Entwicklung der Blockkonzepte wie in dem durch Wettbewerbe definierten Planungsgebiet an der Wilhelmstraße eher im Wege stehen könnte. 4. Organisationsstruktur Die klassische Organisationsform für Selbst- hilfe im Wohnbereich ist die Genossenschaft. Die Wohnungsbaugenossenschaften haben als Förderzweck die Beschaffung von Wohn- raum für ihre Genossen. Dieser Förderzweck kann auf unterschiedliche Weise erreicht wer- den, die jeweiligen Förderziele kommen in den Genossenschaftsstatuten zum Ausdruck. Als Denkmodelle ergeben sich für die Neu- baugenossenschaft (als Bauherr, Baugesell- schaft und Verwaltungseinheit) folgende Möglichkeiten: a) Die Bewohner/Selbsthelfer gründen eine Hausgenossenschaft (die dann nicht ge- meinnützig werden kann) zum Zwecke der Organisation und Durchführung der Ausbau- tätigkeit in Selbsthilfe und der Verwaltung der Hausgemeinschaft. Die Gründung einer Hausgenossenschaft er- fordert einen hohen Konsens der betroffenen Mieter/Selbsthelfer. Es stellt sich die Frage, ob die Mieter in der Anfangsphase damit nicht überfordert sind. Die Gebäude und der Boden bleiben ungeteilt im Eigentum der Genossen- schaft, wenn das Bauland als Erbbaurecht vergeben wird - dann bezieht sich das Eigentum der Genossenschaft nur auf die er- richteten Gebäude, die Genossenschaft ist Erbbaunehmer des Grundstücks. b) Als Alternative böte sich die Kooperation mit einer Berliner Baugenossenschaft oder einer Sanierungsgenossenschaft an, die über das nötige Know-how in der Bauphase ver- fügt, gleichzeitig aber der Hausgemeinschaft ihre nötige Autonomie läßt. (Erste Gespräche in Richtung einer Kooperation mit einer be- stehenden Genossenschaft finden zur Zeit statt). Selbstbauterrassen, Isometrie Der geringe finanzielle Spielraum der Mieter/ Genossenschaftler und der Zwang zum spar- samen Umgang mit den Fördermitteln erfor- dern ein klares und ausgereiftes Organisa- tions- und Finanzierungsprogramm der Ge- nossenschaft, auch dieser Aspekt spricht für eine Kooperation. 5. Vorläufige Projektbeschreibung Ablaufschema: 1. Phase Interessentenauswahl ® Fragebogenaktion in der Südlichen Friedrichstadt ® Zeitungsanzeigen * Listen des Landesamtes für Wohnungs- wesen (LAW) Wartelisten von unversorgten Mitgliedern der betreuenden Genossenschaft 2. Phase Vorphase ® Darstellung der Konzeption ® Diskussion mit den späteren Nutzern, Aufzeigen von Alternativen ® verbindliche Zusage der Mieter durch Eintritt in die Genossenschaft 3. Phase Planungsphase ® Diskussion mit den Betroffenen, den Ar- chitekten, der betreuenden Genossenschaft und den Behörden 4. Phase Durchführung Die Mieter-Genossen übernehmen also eine teilfertige Wohnung, wofür sie - nach ca. 6 Monaten Ausbau-„Kernzeit“ - nach der vor- liegenden Kalkulation ca. 70% der Bewilli- gungsmiete des sozialen Wohnungsbaus zah- len. . Es kommt auf den Willen der Mitglieder ei- ner Genossenschaft an, wie sie das Förder- ziel - die Wirtschaft der Genossenschaftler zu fördern - erreichen wollen. Bei dem vorgeschlagenen Projekt ’Selbsthilfe im Mietwohnungsbau’ muß auf der einen Seite eine gewisse Flexibilität in der Struk- tur möglich sein - dies ist bei jedem baulichen und sozialen Modellvorhaben notwendig - hier werden z.B. die Wohnungen ständig ver- ändert und zu unterschiedlichen Zeitpunkten fertig. Diese Möglichkeit kann zu innovativen Prozessen führen. Auf der anderen Seite muß eine Kontinuität für den Ablauf des Projekts gesichert sein. Das Genossenschaftsgesetz hat sich gerade wegen dieser Elastizität als Rahmen für die unterschiedlichsten genossenschaftlichen Er- scheinungsformen bewährt, die jeweils not- wendigen Bestimmungen werden durch die 33