—_ u W ir sollten annehmen, daß nach dem Ende des 2. Weltkrieges in Deutsch- land niemand so schnell wieder auf die Idee käme, sich ernsthaft mit Zivilverteidigung und Aufrüstung zu beschäftigen, aber das Gegenteil ist — in der genannten Reihenfolge — der Fall. „Daß die breite Öffentlichkeit bis- her davon nichts wußte, und nur ein sehr klei- ner Beamtenapparat die Arbeit leistet, hat sich nicht gerade als Nachteil herausgestellt. Wenn man heute darüber berichten kann, so ist es nicht zuletzt dem Deutschlandvertrag zu verdanken. Dabei soll aber auch weiter gelten; Erörterung nur in der Fachpresse durch Baufachleute, aber keine Beunruhi- gung durch die Tagespresse — die mißver- steht prinzipiell.” Planer und Architekten, die den Krieg auch politisch überlebten, haben viel mit diesem Thema zu tun, wenn wir davon ausgehen, daß alle Maßnahmen zur Zivilen Verteidigung, zum „Luftschutz” dazu geeignet sind, einen neuen Krieg vorzubereiten. Der „Luftschutz” steht für einige Jahre wäh- rend des Neuaufbaus der Städte (obwohl im- mer von „Wiederaufbau” gesprochen wird) in voller (Zeitschriften)Blüte, etwa von 1947 bis 1955. Danach verschwindet er aus der breiten Fa- chöffentlichkeit der Bauzeitschriften und ist nur noch einer wesentlich kleineren Gruppe der direkt mit dem Zivilschutz beschäftigten Planer zugänglich. Die Fülle der Literatur der späten 40er und frühen 50er Jahre zu den beiden sich herauskri- stallisierenden Hauptthemen „baulicher” und „städtebaulicher Luftschutz” mag heute erstau- nen. Sie ist jedoch lediglich Indiz für die unmit- telbar nach Kriegsende beginnende, zunächst verdeckte und bald offene Wiederaufrüstung in Westdeutschland; auch brechen die an Veröf- fentlichungen und der Ausarbeitung von Richt- linien beteilgten Planer angesichts der amerika- nischen Atombombenabwürfe auf Japan, der deutlich zutage tretenden Teilung der Welt und des beginnendes Kalten Krieges kein Tabu, wenn sie sich in ihrem rein technokratischen Selbstverständnis einer Frage annehmen, die, zynisch formuliert, „in der Luft liegt”. Ihr Feindbild ist klar: zukünftige Angriffe auf Westdeutschland werden aus dem Osten er- wartet. Die mitunter etwas heikle Frage inhaltlicher und personeller Kontinuität 3. Reich — Bun- desrepublik, sofern sie überhaupt offen zutage tritt, ist in diesem Bereich anscheinend ohne Relevanz. Für die Planer handelt es sich bei ih- rer Arbeit um rein defensive Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung, die mit Kriegsvorbe- Ulrich Höhns „Städtebau im Atomzeitalter” Planungen um 1950 unter Luftschutzaspekten reitungen nicht das Geringste zu tun haben, und da kann es nur von Vorteil sein, wenn er- fahrene Fachleute aus der Vor- und Kriegszeit hinzugezogen werden. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn maß- geblich an der Ausarbeitung einschlägiger Richtlinien für den Luftschutz der NS-Zeit be- teiligte Planer nach 1945 wieder beratend und mahnend zugleich ihre Stimme erheben, wenn zwei grundlegende Bundesveröffentlichungen der 50er Jahre im Anhang die Verordnungen von 1937 und 1943 abdrucken, auf denen sie aufbauen und die weiter gültig sind. Der objektbezogene Schutzraum der NS- Zeit, der im großem Umfang erst 1941 einsetz- te, beschränkte sich zwangsläufig auf den Bau von Groß-, überwiegend Hochbunkern und Ausbau von Kellern zu Luftschutzräumen. Die Aufgabe wurde von Anfang an nicht als Geheimwissenschaft einiger Eingeweihter be- trieben. „Da Deutschland der aktive Luft- schutz verwehrt ist, ist es genötigt, dem passi- ven Luftschutz, d.h. den Bestrebungen zum Schutz des Lebens der Bewohner und zur Si- cherung der Werte des Volksvermögens, seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Aufgaben des passiven Luftschutzes sind also einmal or- ganisatoischer, andererseits konstruktiver Art. So ist eines der Hauptgebiete des passiven Luftschutzes der Schutz von Wohnhäusern, öf- fentlichen - und Fabrikgebäuden an den An- griffen besonders ausgesetzten Stellen.”? Die akribisch ausgearbeiteten Bestimmungen haben dazu geführt, daß die nach ihnen gebau- ten Schutzräume in der Mehrzahl den Bomben standhielten. In den Stadtneugründungen Wolfsburg und Salzgitter fanden sich keine Hochbunker im Straßenbild; hier waren alle Wohnhäuser be- reits mit Luftschutzkellern ausgestattet. Das „vorläufige Merkblatt bautechnischer Luftschutz vom Mai 1952” („herausgegeben vom Bundesminister für Wohnungsbau im Ein- vernehmen mit dem Bundesminister des Inne- ren”) nimmt die genannten Bestimmungen der NS-Zeit auf und ergänzt sie nur an den Stellen, die sich im Kriege als mangelhaft herausgestellt haben; im wesentlichen meint dies die Freihal- tung von Rettungswegen und die Führung von Notausgängen bis außerhalb des Trümmerbe- reichs der Häuser. Das Merkblatt vertritt angesichts der Atom- bombenabwürfe der Amerikaner auf Hiroshi- ma und Nagasaki die Meinung, daß „bautech- nische Maßnahmen (...) — auch im Hinblick auf atomare Gefahren — einen wirksamen Schutz (bieten).” „Die nach diesem Merkblatt erbauten Luft- schutzräume (LS-Räume) sind nicht ’volltref- fersicher’, sondern nur ’nahtreffersicher’, d.h. sie schützen gegen die Wirkungen bekannter Bomben, auch von Atombomben, wenn diese in einem bestimmten Abstand vom LS-Raum detonieren. Ein nach diesen Bestimmungen gebauter LS-Keller bietet z.B. Schutz gegen 500 kg schwere Sprengbomben, die in minde- stens 15 m Abstand von seiner Außenwand de- tonieren. Gegen die in Japan verwendete Atombombenart schützt er vollkommen, wenn die Bombe in mindestens 1000 m Abstand de- toniert. Aber auch bei geringerem Abstand bietet, ein solcher LS-Keller gewisse Sicher- heit.” Entsprechend beschäftigte sich die Literatur dieser Zeit ausschließlich mit dem baulichen oder bautechnischen Luftschutz. Gesetzliche Grundlage für den Bau von Luftschutzeinrich- tungen waren die „Schutzraumbestimmungen vom 4. Mai 1937” und die aus den Erfahrungen des Luftkrieges abgeleitete „Verordnung zur Hebung der baulichen Feuersicherheit vom 20 August 1943”. 34