Meinhold Lurz „... ein Stück Heimat in Fremder Erde” Die Heldenhaine und Totenburgen des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge links: Der 1932 eingeweihte Heldenhain in Langemarck/ Flandern ist ein Werk des Volksbunds Deutscher Kriegsgräber- fürsorge (VDK) Robert Tischler. Die Eingangshalle von Eangemarck bildete eine profane Gedächtniskapelle. In seinem Äußeren erinnert der Bau an Bunkerarchitektur und den Westwall. Die Gestaltung des Türgewändes geht auf germanische Dolmen zurück. Im Innern sind die Namen der hier ruhenden Gefallenen an den Wänden in Eichenholz geschnitzt rechts: In den dreißiger Jahren übernahm der VDK den Typ der Totenburg. Deren berühmtes Vorbild lieferte das Reichsehrenmal von Tannenberg. Die Totenburgen bildeten eine Verbindung von Burg im Äußeren, Sakralraum im Innern und manchmal, wie in Annaberg/ Oberschlesien, Versammlungsraum. Die Thingstätte am Fuß des Freikorps Ehrenmals diente dazu, durch politische Propagandaschau- spiele die Lebenden zur Nachfolge der Gefallenen aufzumuntern A: 30. Oktober 1936 bekannte der ’Bun- desführer’ des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., der in Heidelberg promovierte Germanist Dr. Siegfried Emmo Eulen: „Als ich vor 17 Jahren den Volksbund gründete, schwebten mir die Ziele vor: die heldische Lebensauffassung im deut- schen Volke wieder zu erwecken; die Ehrenstätten unserer Gefallenen in aller Welt zu Mahnmalen deutscher Art aus- zugestalten und die Opferbereiten zu einer Gemeinschaft im Volksbund zu sammeln. Diese Ziele waren den art- und volksfremden Machthabern des Jahres 1919 nicht genehm.” Eulen bekannte sich zur nationalsozialistischen Mystik der Scholle, indem er fortfuhr: „Die Erde, um die der Soldat gestritten hat und die er in letzter Hingabe sich als Eigen- tum erkämpfte, ist uns heilig. Wir lieben diese Erde so tief und innig, wie nur der Bauer und der Soldat sie lieben kön nen.” Stolz blickte der Volksbund noch im No- vember 1944 auf seine — im Sinne des Natio- nalsozialismus — Progressivität zurück, etwa in den Worten von ’Bundesamtsführer’ Otffo Margraf: „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bedeutete Be- sinnung auf Ehre und Größe der Nation, auf das heldische Opfer und den Todesmut unserer Gefallenen, auf die Dan- kespflicht gegen diese Toten, er bedeutete Besinnung auf das Deutschtum überhaupt und Einsatz für deutsche Kul- turwerte. Solche Gesinnung war den damaligen Machtha: bern mit ihren jüdischen Söldlingen aufs tiefste verhaßt. Beide, Bundesführer wie Bundesamtsfüh- rer, legten dabei nicht nur anbiederungsfreu- dige Bekenntnisse zum Nationalsozialismus ab; vielmehr entsprach ihr Selbstverständnis durchaus der historischen Entwicklung des Volksbunds. Eulen hatten den Verein am 26. November 1919 als Ergänzung zur amtlichen ’Kriegergräberfürsorge’ gegründet und war seither Generalsekretär und Erster Schrift- führer.” Der Anlaß bestand 1919 darin, daß der amtlichen Dienststelle das nötige Geld fehlte. Nur ein privater Verein, dessen Ver- mögen den Reparationszahlungen entzogen war, konnte helfen. Anfangs waren seine Ziele mit denen der Dienststelle identisch und ergänzten sie durch die Organisation von Angehörigenreisen zu Soldatenfriedhöfen, die Planung eines jährlichen Reichstrauer- tags und die finanzielle Hilfe von Angehöri- gen Gefallener.” Aufgrund seiner politischen Ziele, die aus den Artikeln in der Vereinszeitschrift ’Kriegsgräberfürsorge’ hervorgehen, bildete der Volksbund gerade keinen Bund des gan- zen Volkes, sondern eine Sammelstelle von nationalen bis rechtsradikalen Gruppen. Sie hielten an den Idealen der Frontsoldaten fest, verherrlichten das Kriegserlebnis der Kame- radschaft, pflegten die Dolchstoßlegende. lehnten die Weimarer Republik ab und plan- ten die Fortsetzung bzw. Wiederholung des Kriegs bis zum Endsieg. Charakteristisch für diesen Geist fiel eine Außerung von Bundes- führer Eulen nach Ausbruch des 2. Welt- kriegs aus. An Weihnachten 1940 begrüßte er das anbrechende neue Jahrzehnt mit den Grußworten: „Wir Lebenden haben die Pflicht der Arbeit, des Kampfes und des Opfers. Iin dieser soldatischen Haltung tragen wir die Fahne weiter in ein neues Jahr des Sieges, in ein neues Jahrzehnt der bedingungslosen Hingabe für Großdeutsch- land und seinen Führer 7” Konsequent meldete sich Eulen zur neuen Wehrmacht an die Front. Anstatt aus der Trauer um Gefallene die künftige Vermei- dung von Kriegen zu folgern, bekannte sich der Volksbund zur Wiederholung des Schick- sals der Gefallenen. Statt Abrüstung plante er Aufrüstung und mahnte zur Nachfolge der Gefallenen.” Seit 1926 schaltete sich der VDK in die Ausbauarbeiten auf deutschen Soldatenfried- höfen im Ausland ein. Zu deren Gestaltung beschäftigte er den Gartenarchitekten Robert Tischler. Einige Zahlen demonstrieren den Aufschwung des Vereins. Im Jahr 1926 — zu Beginn der Friedhofsausbauten — beliefen sich die Ausgaben auf ca. 24.000 RM, 1930 bereits auf fast 570.000 RM. Im Jahr 1924 hatte der Verein rund 58.600 Einzelmitglie- der; 1930 waren es bereits 138.000. Ebenfalls 1924 versorgte die Zeitschrift ’Kriegsgräber- fürsorge’ 7.000 Bezieher, 1930 über 50.000.” Schon bis 1932 hatte Tischler einen präfa- schistischen Stil der Friedhofsgestaltung ent- wickelt. Dabei traten die Massengräber der unbekannten Toten als ideelle Zentren in den Mittelpunkt der Anlagen und dominierten deren optischen Eindruck. In den Massengräbern war die Individuali- tät des Einzelnen aufgehoben. Die Toten exi- stierten nur noch als anonymer Teil des Kol- lektivs. Die im Tragen einer Uniform liegen- de Tendenz zur Gleichmachung Aller kam im Massengrab zur Verwirklichung. Übergänge von den Anlagen des 1. Weltkriegs bis zu die- sem Typ lassen sich an Tischlers Friedhofsge- staltungen Schritt für Schritt nachzeichnen. '® Zunächst verzichtete er auf individuelle Grabkreuze und rückte die Bepflanzung der Friedhöfe als bestimmenden Eindruck in den Vordergrund. Es entstanden Heldenhaine, die sich nach entsprechend langem Wuchs der Bäume zu Naturdomen entwickeln soll- ten. Eichen und Linden ersetzten dabei die Pfeiler. Die auf Tacitus zurückgreifende, an- geblich typisch germanische Natursymbolik feierte fröhliche Urständ’ und setzte die in den Befreiungskriegen begonnene Tradition fort. Am Ende ließ Tischler sogar die na- mentliche Kennzeichnung der Gräber ganz weg. Sie erhielten nur noch eine Nummer. Die Namen der auf dem Friedhof ruhenden Gefallenen wurden zunächst noch auf Stelen zusammengefaßt, die um das zentrale Ehren- mal der Anlagen, möglichst nahe bei den Massengräbern standen.‘ Im U-Boot-Eh- renmal von Kiel-Möltenort faßte Tischler sie schließlich nur noch in einem Buch zusam- men. Der einzelne Soldat galt am Ende dieser Entwicklung als anonymer Teil der Gemein- schaft, für die er sein Leben ließ. Nicht das Individuum zählte, sondern nur noch das Wohl des allmächtigen Staats. Oder wie es in Langemarck 1932 mit Heinrich Lersch hieß: „Deutschland muß leben auch wenn wir ster- ben müssen”, ein im Dritten Reich in Ge- dankfeiern und auf Denkmälern häufig wie- derholtes Zitat. '” Statt der früheren Einzelgrabzeichen wur- den Gruppen von Symbolkreuzen aufgestellt, die keine Namen trugen und grob bossiert blieben. Um Symbole handelte es sich inso- fern, als sie eine Einheit angetretener, nur eben toter Soldaten meinten, deren Kom- mandant vor seiner Truppe stand. Noch die Toten standen stramm, wie sie es als Lebende getan hatten. Hans Gstettner, der einen wich- tigen Aufsatz zur Deutung und Entwicklung der Friedhofsanlagen schrieb, meinte dazu: „Die kleinen Einheiten aber stehen hintereinander gestaf- felt und ausgerichtet, ein Heeresverband, der zur Parade, zum ewigen Appell, angetreten ist! Das Kreuz als Grabzei- chen hat, so gesetzt, einen ausschließlich soldatischen Sinn erhalten ”!? Parallel mit der zuvor beschriebenen Ten- denz zur Anonymisierung der Toten in einem Ehrenhain läßt sich eine zweite feststellen: die zentralen Ehrenmale nahmen immer grö- ßere Bedeutung an und wurdn immer auf- wendiger und monumentaler gestaltet. Als Beispiel für den Übergang kann die Eingangssituation von Langemarck 1922 gel- ten. Nach Art eines germanischen Dolmen besteht die Türöffnung aus zwei grob behaue- nen Blöcken mit einem Monolith als Sturz. Dahinter befindet sich rechts ein Weiheraum mit schmiedeeiserner Tür. Darin sind die Na- men der hier ruhenden Gefallenen in Eichen- holz geschnitzt. !? 66