- 272 nun schon seit vielen Jahren und bin noch immer auf der Welt. I< habe bei jeder Witterung und jeder in Mitteleuropa üblichen Temperatur beim offenen Fenster geschlafen, ich habe Eiszapfen am Barte getragen, wenn ich des Morgens wach wurde, aber mich seit dieser Gepflogenheit doppelt wohl befunden. Früher zwang mich eine jeden Winter wieder- kehrende Bronhitis 6--8 Wochen und länger das Zimmer zu hüten. Das Schlafen beim offenen Fenster hat sie gründlich kurirt. Ganz so einfach ist das nun freilich nicht, und wenn ich ehrlich sein soll, so gibt es Ausnahmsfälle, in wel<hen auch ich das Fenster schließe. Welches diese Ausnahmsfälle sind, das ist schwer zu sagen. Dafür ist eben der Verstand da, daß man keine Prinzipien reitet und daß man nicht nach der Schablone verfährt, und wer keinen Verstand dazu hat, gegebene Ver- hältnisse zu beurtheilen, der soll nicht allein das Schlafen beim offenen Fenster, der soll's überhaupt aufsteken. Auch Zufälligkeiten können Einem einen Schaberna> spielen und dann muß natürlich das offene Fenster den Prügeljungen für den Schaden abgeben. J< habe 3. B. einmal eine schwere Lungenentzündung durchgemacht, welche mich nahezu des weiteren Sclafens beim offenen Fenster enthoben hätte und mich monatelang arbeits- unfähig machte. Da sprach Freund und Feind: das kommt von das! Mag sein, besonders wenn man sich den wirklich gut vom Verfasser geschilderten Kontrast zwischen der „freundlichsten Bettwärme" und einem über den fast naten Arm hereinströmenden Zug von Nachtluft vergegenwärtigt. Dieser Kontrast fehlt aber für gewöhnlich ganz und gar. Wer beim offenen Fen- ster schläft, ist erstens meisten3 so vernünftig, seinen Arm zu bede>en und zweitens hat er Luft in Hülle und Fülle und kein Bedürfniß, sich im Schlafe hin- und herzuwerfen und sich in einem hereinströmenden Zug von Nacht- luft zu baden. Er sc<<läft ruhig und liegt Morgens noch auf derselben Stelle und in derselben Stellung, in welcher er sich des Abends nieder- gelegt hat. Aerzte allerdings bedingen eine Ausnahme. Sie haben die berechtigte Eigenthümlichkeit, zum Oeftern des Nachts herausgeklingelt zu werden. Bei einiger Berufstreue kann e3 nun sehr wohl vorkommen, daß man durc die Klingel allarmirt und aus der „freundlichsten Bettwärme" gerissen, nicht allein seinen naten Arm, sondern noch etwas mehr in der Nachtluft badet, und das ist dann freilich ein ganz unprogrammäßiges Moment. Selbst einen gewissen Kausalnexus zwischen dem offenen enter und meiner Lungenentzündung zugegeben -- und ich bin davon noch lange nicht überzeugt --- liegen die Ursachen meiner- Lungenentzündung viel tiefer, sie liegen darin, daß andere Leute beim geschlossenen Fenster schlafen und zwar zu vieren, fünfen, sechsen und mehr, und daß folgerichtig ihre Kinder des Nachts nicht Luft, sondern Staub und Lungenexkremente ath- men und Croupanfälle bekommen, welche es nöthig machen, den Arzt aus der „freundlichsten Bettwärme“ herauszureißen. Mein offenes Fenster bildet nur ein sehr kleines zufälliges und untergeordnetes Glied in der langen Kette von Umständen, welc<he nothwendig ist, um eine Lungenentzündung zu produziren, aber das Schlafen beim geschlossenen Fenster ist doch in meinem alle offenbar der erste große Ring, an welchem alle andere Glieder si anheften und es wäre meinerseits jedenfalls ein ebenso großer logischer Scnißer , das Schlafen beim geschlossenen Fenster für meine Lungen- entzündung ausschließlich verantwortlich zu machen, als es derjenige der Anderen ist, wenn sie das Schlafen beim offenen Fenster beschuldigen. Um den Ursachen der Erkrankungen auf die Spur zu kommen, muß man