238 Schwarzwaldkreis. Oberamt Reutlingen. altbezeugten Lesart Bolonia festzuhalten und wird derselbe in Boulogne sur mer zu suchen fein, weil die Art des Meisters Heinrich eine durchaus nordsranzösische gewesen ist und durchaus nicht mit dem Stil des damals schon hachheraufgebauten Kölner Domes übereinstimmt. Es ist sicher, daß Peter Parler, der Sohn des Meisters Heinrich, in Köln studiert hat in der dortigen Bauhütte, auch war seine erste Frau eine Kölnerin; man kann aber auch an Peters Bauten den Einfluß des Kölner Doms in die Augen springend nachweisen au den Chören zu Prag, Kolin, Kuttenberg in Böhmen, besonders an ihrem Strebewerk, während an dem Bau des Vaters in Gmünd dies durchaus verneint werden muß, ausgenommen vielleicht kleine Teile, z. B. einige Baldachine an den Portalen; sie mögen von dem jungen Peter, als er von Köln wieder nach Gmünd gekommen war und dort an der Heiligkreuz kirche seines Vaters arbeitete, geschaffen worden sein. Von dort weg berief den erst Dreiundzwanzigjährigen der für die französische Baukunst so sehr begeisterte, kunst sinnige und großangelegte Kaiser Karl IV. nach Prag, um den durch den Tod des ersten Dombaumeisters Matthias von Arras verwaisten Dombau weitersühreu zu lassen. Heinrich, der Vater, der Meister der Gmünder Heiligkreuzkirche, weicht in der Grundriß bildung, aber auch im Aufbau uud den Einzelformen, besonders auch im Fenster maßwerk mächtig ab von der deutschen Gewöhnung, bringt auch den der französischen Kunst so geläufigen außerordentlichen Figurenreichtum an seine Bauten; alles, wie auch das Aussehen der Figuren echt nordfranzösisch. Sein Zeichen, ein h, ist in Gmünd nachgewiesen. Dieses und seine Hand und seine Schule zeigt sich nun auch noch an zwei anderen schwäbischen Bauten: am Turm der Kapellenkirche zu Rott weil, und wieder, aber nur an der Schauseite, an der Marienkirche zu Reutlingen. Der Kapellenturm zu Rottweil gehört zu den schönsten und merkwürdigsten Türmen der gotischen Baukunst, und sucht besonders durch den Reichtum seiner Bildhauereien weit und breit seinesgleichen, er übertrifft in dieser Hinsicht sogar den Turm des kllmer Münsters. Seine drei unteren Geschosse stammen noch aus der Zeit der Gründung und stehen dem Stile nach zwischen dem Turni der Marienkirche zu Reut lingen und der Heiligkreuzkirche zu Gmünd. — Der nordfranzösische Meister hat die Entwürfe der Reutlinger Fassade, die auf Straßburger Einflüsse zurückzuführen sind, vorgefunden, auch wohl schon Teile des Aufbaues, er hat nur Einzelheiten daran fertig gearbeitet, hat von den Reutlinger Eindrücken nach Rottweil getragen, und diese mit seiner eigenen Richtung, die auf das Häufen des Figürlichen ging, verschmolzen. Bei genauerer Vergleichung beider Turmfassaden erkennt man trotz vielem Ähnlichen doch so manche Verschiedenheiten, wobei noch zu bemerken ist, daß sich die Straßburger und die nordfranzösische Schule nahe berühren. Der Reutlinger Plan ist entschieden der ältere, Richtung gebende, das Figurenwerk war nicht mehr hineinzubringen, da gegen lassen einige Figuren, wie Wasserspeier und besonders jenes merkwürdige ganz im Dunkel versteckte Relief im Spitzbogenfelde des Treppentürmchens mit den zwei nackten, an antike Bacchanten erinnernden Figuren, dieselbe geniale Bildhauerhand, wie an den so zahlreichen des Rottweiler Kapellenturms erkennen. Die Skulpturen dieses Turms sind ein eigenes Studium wert, so frei und edel und anmutsvoll-treff lich sind sie. Am Friedhofcingang in Reutlingen, dem Überbleibsel einer frühgotischen Kapelle, sind an den Konsolen der geradgestürzten Thüre zwei Bildwerke ausgehauen,