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»Dann sprach bei Tische Herr Arnoldsen einen seiner witzigen und phantasie
vollen Toaste zu Ehren der Brautpaare.« Dieser Satz kann seiner Art nach in
einem Briefe stehen (oder ein mündlicher Bericht sein), den ich von einer Person
erhalte, die an der beschriebenen Feier teilgenommen hat. In diesem Falle ent
hält der Satz folgende Eigenschaften, die ihn als Aussage konstituieren: Das
Aussagesubjekt, der Briefschreiber, berichtet über den Sachverhalt, den Toast
des Herrn Arnoldsen, als über eine von ihm erlebte Begebenheit; das Verb
steht im Imperfekt und indiziert damit, daß diese in bezug auf den Zeitpunkt
des Berichtes vergangen ist, in der Vergangenheit des Aussagesubjekts steht.
Als solche ist sie eine wirklich stattgefundene Begebenheit, d. h. unabhängig
davon, ob dieses Aussagesubjekt von ihr berichtet oder nicht. Sie wird zum
Aussagesubjekt erst durch die Aussage selbst, d. h. wenn sie zum Aussage
objekt geworden ist. Darin ist umgekehrt enthalten, daß das Aussagesubjekt
sich der von ihm unabhängigen Wirklichkeit (in diesem Beispiel des Geschehen
seins) des Aussageobjekts bewußt ist, gleichgültig ob diese verifiziert werden
kann oder nicht. — Der Satz über Herrn Arnoldsens Toast ist nun aber kein
realer Briefsatz, sondern ein Romansatz aus den »Buddenbrooks«, als solcher
auch kein von einer Romanperson gesprochener Satz, sondern ein Satz des
erzählenden Berichts. Als Romansatz hat er zwar immer noch die Form eines
Behauptungssatzes, aber stellt keine Behauptung mehr dar, deshalb nicht,
weil er nicht mehr die Struktur der Aussage hat. Denn nun erhalten wir auf die
Frage nach dem Aussagesubjekt keine Antwort mehr. Bedeutet das Imperfekt
»sprach«, daß die beschriebene Begebenheit, Herrn Arnoldsens Toast zu Ehren
der Brautpaare, in der Vergangenheit dessen, der sie erzählt, also des Autors
des Romans, stattgefunden hat ? Hat sie überhaupt stattgefunden ? Kann man
den Inhalt des Satzes der Verifikation unterziehen, z. B. einwenden, daß der
Berichter sich geirrt habe und nicht Herr Arnoldsen, sondern etwa Herr Ber-
toldsen den Toast gehalten habe, oder dieser Toast doch gar so witzig nicht
gewesen sei. Dies alles besagt: Ist der Autor das Aussagesubjekt dieses Satzes
und besteht hier eine Subjekt-Objekt-Struktur? Alle diese Fragen müssen
verneinend beantwortet werden. Der Satz: »Dann sprach bei Tische Herr Ar
noldsen ...« hat als Romansatz einen anderen Charakter als als Briefsatz. Er ist
Teil einer Szene, einer aus sich selbst existierenden fiktiven Wirklichkeit, die
qua fiktive ebenso unabhängig von einem Aussagesubjekt ist wie es eine >reale<.
Wirklichkeit auch ist. Das will sagen: wenn eine reale Wirklichkeit ist, weil sie
ist, so >ist< eine fiktive Wirklichkeit nur dadurch, daß sie erzählt ist (als
dramatische dadurch, daß sie mit den Mitteln dramatischer Gestaltung er
zeugt ist).