diesen kraft ihres eigenen Schöpfertums in so hohem Grade initiierten, wissen
den Dichtungstheoretikern erschien. Sie vergleichen die >Wirklichkeit<, die im
Drama zur Gestaltung gelangen kann, mit derjenigen, die die erzählende Dich
tung zu erschaffen vermag, zugunsten der letzteren, und setzen eben diese mit
der eigentlichen, der vollkommenen Wirklichkeit gleich. Sieht man aber ge
nauer zu, so entspricht letztlich die Situation des Zuschauers vor der Bühne —
wo er, wie es Schiller gesagt, »streng an die sinnliche Gegenwart gefesselt ist«
(26.12.1797 an Goethe) — weit eher dem fragmentarischen Charakter der erleb
baren Wirklichkeit in dem oben entwickelten Sinne, ist die dramatische Gestalt
und Welt dieser genauer angeglichen als die epische. Die Art, in der sich uns
die epische Gestalt und die epische Welt darbietet, geht weit hinaus über das,
was sich in der physischen und geschichtlichen Wirklichkeit präsentieren kann.
Den Menschen in seinem »durchscheinenden Innern« können wir nur an einem
einzigen >erkenntnistheoretischen< Orte, in der erzählenden Dichtung, erleben,
—• als >Produkt< der erzeugenden Erzählfunktion, deren Wesen, erzeugend und
nicht berichtend zu sein, ihren kräftigsten Beweis eben in dieser Erscheinung
findet. Dort wo sie fehlt, in der dramatischen Dichtung, ersetzt sie sich durch
eben jene auf Gestaltenbildung beschränkte dichtende Funktion, die durch die
inversen Formeln gekennzeichnet ist, daß das Wort Gestalt und die Gestalt
Wort wird. Diese Formeln beschreiben, wie nochmals betont sei, nur die ge
dichtete dramatische Fiktion als solche. Sie beschreiben diese in eben dem frag
mentarischen Aspekt, der sie dem Erlebnis der —- physischen und geschicht
lichen — Wirklichkeit stärker angleicht als die epische, aber nun auch aus
diesem Grunde sie gerade als >Mimesis< dieser Wirklichkeit sichtbarer macht
als jene. Es ist die dramatische Mimesis, die auf Grund ihrer erkenntnistheore
tisch-logisch dualen Struktur greifbarer als die epische das dichtungstheoretische
Problem der Mimesis enthüllt, das ihre Auffassung als Nachahmung gänzlich
verdeckt hatte: daß Mimesis der Wirklichkeit nicht etwa Wirklichkeit selbst ist,
sondern diese nichts als der Stoff der dichterischen Arbeit, der bis zum Ver
schwinden überhaupt noch erfahrbarer Wirklichkeit alle Grade der—allgemein
gesprochen symbolischen — Bewältigung und Verwandlung annehmen kann.
Die Probleme, die hier in die Theorie der fiktionalen Dichtung eintreten, ge
hören als solche nicht mehr ihrer Logik an. Aber sie haben ihren Ursprung
eben an dem Orte des Dichtungssystems, an dem das Verhältnis der Mimesis
der Wirklichkeit zur Wirklichkeit selbst mehr als an irgendeinem anderen in
die Erscheinung tritt und der Erhellung bedarf: am Orte der dramatischen
Fiktion, die ihre Seinsweise nicht bloß, wie die epische, als vorgestellte, sondern
auch als physisch wahrnehmbare erst ganz erfüllen kann. Dies aber bedeutet,
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