daß das Drama nicht nur als Dichtung, sondern auch als Theaterstück oder
Schauspiel unter den Gesichtspunkt der so verstandenen Mimesis rückt, damit
aber die vieldiskutierte Problematik der Bühne auf ihre grundlegenden und
grundsätzlichen Elemente zurückgeführt werden kann.
Die Wirklichkeit der Bühne und das Problem der Gegenwart
In der Tat kann das Problem der dramatischen Fiktion nicht ohne Berück
sichtigung der Phänomenologie der Bühne völlig erhellt werden. Der Gesichts
punkt der Mimesis, unter dem auch die letztere steht, darf sogar als die Lösung
der seit alters diskutierten Problematik der >Wirklichkeit< betrachtet werden,
die die Theaterbühne darstellt, damit aber der Problematik der Zeit, als der
Form, in der seit der Blütezeit der Einheitentheorie in der Renaissance die
Wirklichkeitsproblematik der Bühne ihren wesentlichen Ausdruck gefunden
hat.
Dies aber ist ein Punkt, an dem zunächst, und zwar mit Rücksicht auf die
Zeitdiskussion der modernen Literaturtheorie, wiederum ein vergleichender
Blick auf die erzählende Dichtung geworfen werden muß. Ist ja hinsichtlich
ihrer die Zeitproblematik sogar aktueller als in bezug auf die dramatische Dich
tung, für die sie mit gewissem Recht als erschöpfend behandelt betrachtet
werden mag. Wenn dies aber auch der Fall ist, so fordert es nun dennoch die
exakte Bestimmung des logischen Ortes des Dramas, zu betonen, daß im
eigentlichen Sinne legitim nur die dramatische Zeitproblematik, nicht aber die
epische ist. Und dies, auf den ersten Blick paradoxerweise, obwohl die Zeit als
Problem der Gestaltung und des sinnhaften Gehalts wiederum nur in der er
zählenden Dichtung thematisch werden kann. Dies scheinbare Paradoxon hängt
aber damit zusammen und löst sich darin auf, daß gerade die Zeit als Form der
physischen Wirklichkeit, d. h. aber diese selbst, nicht in die Struktur der
epischen Dichtung eintritt. Die Fiktion, die sie erschafft, verharrt im Modus
des Vorgestelltseins und bedarf zu ihrer Erfüllung des Modus der Wahr
nehmung nicht. Als Fiktion aber ist sie, wie eingehend zu zeigen versucht
wurde, auch jener Zeitform enthoben, die im Modus der Vorstellung lebt,
aber nur für das geschichtliche Denken gültig ist: der Vergangenheit. Wenn
in neuerer Zeit, begründet durch die Theorie G. Müllers 130 , die Zeit als Faktor
physischer Wirklichkeit, nämlich als »Erzählzeit«, also als Längen- und Zeit
130 G. Müller, Über das Zeitgerüst des Erzählens (DVjs XXIV, 1951) und: Erzählzeit und
erzählte Zeit (Festschrift P. Kluckhohn u. F. Schneider, Tübingen 1948)
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