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Dichter, diesen aber eher einen Naturforscher nennen sollte.« 12 In das griechi
sche Wort ipvaioXoyog geht der Begriff Xoyog ein, und wenn man dazu eine
weitere kleine Stelle der »Poetik« heranzieht, tritt der Sinn einer Unterschei
dung zwischen den Begriffen noielv und Xeyeiv (sagen), /lifirjoig und Xdyog,
hervor, der darauf hinweist, daß der Begriff >Dichtung< für Aristoteles aus
schließlich durch Darstellung, Gestaltung handelnder Menschen gedeckt war,
nicht aber schon durch eine wie immer >dichterische< metrische >Aussage<.
Nicht zufällig wird dies Problem ihm bei der erzählenden Dichtung< akut. Er
tadelt es, wenn ein Epiker »in eigener Person« (avxöv) redet, statt handelnde
Personen mimetisch zu gestalten. »Ein Dichter soll so wenig wie möglich
selbst (in eigener Person) reden, denn tut er dies, ist er kein /ußrjxrig.« 13 Und
er lobt Homer als den einzigen Epiker, der dies Gesetz der noir\aig erfüllt
hat, nämlich nach einer kurzen Einleitung sogleich einen Mann oder eine Frau
auftreten lasse, die reden 14 .
Die Ausschließung nicht-mimetischer »Dichtung« (wie wir mit Hinsicht
auf Aristoteles in Anführungsstrichen sagen müssen) aus der noirjoig kann
als Ansatz der Einsicht aufgefaßt werden, daß eine Dichtungsform, die keine
Handlung bzw. handelnde Menschen »macht« (noiei) — wir dürfen sagen
keine fiktiven, im Modus der /xl/xr/aig und nicht der Wirklichkeit lebenden
Menschen erschafft —, in einem anderen Gebiete dessen angesiedelt ist, was
wir heute als das gesamte Dichtungssystem bezeichnen. Es wird sich in unseren
Untersuchungen zeigen, welche Bedeutung dieser Unterschied, den wir durch
die Begriffe der fiktionalen oder mimetischen und der lyrischen Dichtung be
zeichnen werden, für die logische Struktur des Dichtungssystems und damit für
die Phänomenologie der Dichtungsgattungen hat.
Wenn die Begriffsbildung Dichtung und Wirklichkeit auch im Begriffe der
/xi/irjatg enthalten ist, so ist sie doch für Aristoteles nicht eigentlich thematisch
geworden. Aber es liegt in der Natur des freilich nicht explizit und bewußt
12 ot äv&gconoi ye avvdnxovxeg xw fiexnq) xd noielv ¿Xeyeionoiovg xovg de enonoiovg
Ovo/iaCovoiv, ovy cog xaxä xijv [ti/irjOiv noiryzäg idX.Xd xoivfj xaxä xd plxoov nQoaayogev-
ovxeg . . . ovöev de xoivov eoxiv 'Ofir/Qcp xai "E/xnedoxXel TiXr/v xd /iexqov, dio xov fiev
noirjxr]v äixaiov y.aAelv, xdv de ipvatoÄoyov ¡xdXXov 17 noirjxrjv (1447 b ).
Auch Koller hebt diesen Satz hervor, ohne jedoch eine Verbindung von Mimesis mit
Poiesis herzustellen. Aber er betont gleichfalls, daß Aristoteles in der Mimesis das begriffliche
Instrument gefunden habe, »echte Dichtung von Scheindichtung zu scheiden, denn bei der
bisherigen Gewohnheit, das Metrum als entscheidendes Merkmal zu verwenden, würde das
Lehrgedicht, das keine Dichtung ist, darunter fallen, während die Prosadichtung ausgeschaltet
wäre. Dies erkannt zu haben, ist die große Tat des Aristoteles« (a. a. O., S. 106).
13 avxov ydo del xdv noirjzrjv ¿X.dyjaxa Xeyeiv. ov yaQ eaxi xaxä xavxa i-iLiirjxr)g (1460“).
14 Ebd.