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Aussagetypen teil hat oder sich auf irgendeine Weise von ihnen unterscheidet
und, sollte dies der Fall sein, was sich daraus für den Charakter der Lyrik, das
aber heißt Seinsweise und Genesis des lyrischen Gebildes ergibt.
Zu diesem Zweck muß vorgängig noch ein weiteres Wesensmoment der
Aussage berücksichtigt werden: ihr Charakter als Mitteilung im weitesten
Sinne verstanden. Darin ist enthalten, daß auch eine noch so subjektiv ge
prägte Aussage gerichtet ist auf ihren Objektpol, d. h. als behauptende,
fragende, wünschende, befehlende den Zweck oder die Funktion hat, in dem
Zusammenhang, den ihr Inhalt, also das Aussageobjekt angibt, wirkend zu
sein: behauptend zu informieren, fragend eine Information 2U erhalten,
befehlend oder wünschend etwas zu bewirken. Sehr prägnant hat Husserl in
Hinsicht auf die Philosophie als eine sehr subjektive Wissenschaft dies Ver
hältnis einmal formuliert: »Philosophie ist eine ganz persönliche Angelegen
heit des Philosophierenden. Es handelt sich um seine sapientia universalis, das
ist um sein ins Universale fortstrebendes Wissen — aber um ein echt wissen
schaftliches ... « 146 Es handelte sich Husserl im Zusammenhang dieser
Äußerung nicht um den Charakter der theoretischen Aussage als solchen,
sondern um die existentielle Entscheidung des Philosophierenden, »diesem
Ziel entgegen leben zu wollen«. Aber in der Formulierung Husserls ist die
Richtung des aussagenden Verhaltens des Philosophen impliziert. Auch der
noch so »persönlich« Philosophierende will nicht »sich aussprechen« (Hegel),
sondern die Sache, um die es sich handelt, »zur Gegebenheit bringen« (um
es nochmals mit einem Husserlschen Terminus zu sagen). Die Aussagen aller
drei Kategorien, die unser mitteilendes sprachliches Leben beschreiben, sind
vom Subjektpol weg auf den Objektpol gerichtet. Sie wollen, wie man das
auch ausdrücken kann, eine Funktion in einem Objektzusammenhang üben,
der immer auch ein Wirklichkeitszusammenhang ist, welcher Art die jeweilig
gemeinte Wirklichkeit auch ist. Dabei ist es, um dies nochmals hervorzu
heben, gleichgültig, in welchem Grade sich das Aussagesubjekt bemerkbar
macht. Und es ist für die Struktur und Funktion der Aussage wenn nicht
gleichgültig so doch sekundär, welche sprachliche Qualität die Aussage hat.
Der lyrische, oder sagen wir altmodischer aber unmißverständlicher, poetische
Aufschwung, den Kant in unserem Beispielsatz aus der »Kritik der prakti
schen Vernunft« nimmt, macht dieses Aussagesubjekt noch nicht zu einem
lyrischen. Und wenn Rilke, dessen Briefe ja in einer besonderen Weise von
dem ihm eigenen Dichterstil geprägt sind, die Schlittenfahrt in Skäne und die
146 E. Husserl, Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, Haag 1963, S. 4