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der lyrischen Aussage als Aussage begründet, daß sie Aussage eines Subjekts
über ein Objekt ist. Auch wenn dieses Objekt nicht mehr theoretisches oder
praktisches Ziel der Aussage ist, auch dann noch, wenn es in seiner Wirklich
keitssubstanz nicht mehr erkennbar ist, ist es doch aus der Aussage nicht ver
schwunden: es bleibt der Bezugspunkt auch der lyrischen Aussage, aber nun
nicht um seines Eigenwertes willen, sondern als der Kern, der die Entstehung
des Sinnzusammenhangs erzeugt. Dies aber ist nur eine andere Beschreibung
des lyrischen Phänomens, als wenn wir sagen, daß sich die Aussage aus dem
Wirklichkeitszusammenhang löst und sich in sich selbst, d. h. auf den Subjekt
pol zurückwendet.
An dieser Stelle, zum Abschluß der Analyse der lyrischen Subjekt-Objekt-
Struktur muß die bereits aufgeworfene Frage geklärt werden, warum das lyri
sche Gedicht eine Wirklichkeitsaussage ist, obwohl seine Aussage keine Funk
tion in einem Wirklichkeitszusammenhang hat. Denn schon wenn wir unser
Erlebnis von einem lyrischen Gedicht prüfen, so erscheint es uns primär eben
dadurch bestimmt zu sein, daß wir es als Wirklichkeitsaussage erleben, so gut
wie einen uns mündlich oder in einem Briefe mitgeteilten spezifischen Erleb
nisbericht, und erst gewissermaßen sekundär, erst bei analysierender Prüfung
des Sinnes einer lyrischen Aussage (derart wie wir sie an einigen Beispielen
versuchten), ergänzen wir diese unmittelbare Erfahrung durch die Modifi
zierung, daß wir keine objektive Wirklichkeit oder Wahrheit aus ihm erfahren
noch zu erfahren erwarten. Was wir zu erfahren und nachzuerleben erwarten,
ist nichts Sachliches, sondern Sinnhaftes. Und diese unsere Einstellung ist nicht
eine dem lyrischen Gedichte gegenüber völlig neue innere Erfahrung. In
modifizierter Weise kennen wir sie auch aus nicht-lyrischer Mitteilung, die uns
etwa gemacht wird. Beschreibt uns jemand lebhaft und anschaulich seine Ein
drücke, die er bei einem Natur-, Kunst- oder sonst einem Lebensgenuß gehabt
hat, so kann es geschehen, daß wir selbst an diesem subjektiven Eindruck und
Ausdruck des Berichtenden mehr interessiert sind als an der Sache, die für
jenen der Anlaß war, und wir sagen wohl: er hat eine so reizende Schilderung
des Festes gegeben, daß es ein wahres Vergnügen war, ihm zuzuhören. Dieses
banale, unserer Alltagserfahrung entnommene Beispiel aber weist die Richtung
an, in der wir Lyrik erleben, noch ehe wir an die Deutung der in einem Ge
dichte ausgesagten Sinnzusammenhänge gehen. Während in der außer dichte
rischen Schilderung, an der wir um ihres Wie mehr als um ihres Was interessiert
sein können, dennoch auch das Was, als der gemeinte Wirklichkeitszusammen
hang mehr oder weniger mitklingt (je nach unserem Interesse oder der Eigen
wichtigkeit dieses Was), sind wir, wie schon gezeigt, angesichts des lyrischen