Full text: Die Logik der Dichtung

den engeren Erlebnisbegriff zu beschränken, der im Begriff der Erlebnislyrik 
gemeint ist. Er kann bezogen werden auf das Aussagesubjekt überhaupt, 
insofern dieses eben das sich aussagend manifestierende Erlebnissubjekt ist 
(als Erweiterung des Erkenntnissubjekts, dessen Verhältnis zum Aussage 
subjekt oben (Seite 36) erörtert wurde). Wenn aber das sich in der mitteilen 
den Aussage manifestierende Erlebnissubjekt, d. i. im Sinne Husserls das 
Erlebnis selbst, intentional auf ein Objekt gerichtet ist, so ersetzt, wie man 
sagen kann, das sich in der lyrischen Aussage manifestierende Erlebnissubjekt, 
das >lyrische Ich<, die Intentionalität durch die Einbeziehung des Objekts in 
sich selbst, gleichgültig in welchem Grade. Man kann dies Verhältnis so 
formulieren: das lyrische Aussagesubjekt macht nicht das Objekt des Erleb 
nisses, sondern das Erlebnis des Objekts zu seinem Aussageinhalt — und 
das besagt, analog unserer Beschreibung der Aussagestruktur, daß die Sub- 
jekt-Objekt-Korrelation nicht aufgehoben ist. Und es mag auch deutlich ge 
worden sein, daß es auf die Art des >Erlebnisses< dabei nicht ankommt: es 
gilt für das Ding- das Ideen-, das politische Gedicht so gut wie für das perso 
nale Gefühlsgedicht, ja für alle Lyrik überhaupt. Das Erlebnis kann >fiktm 
im Sinne von erfunden sein, aber das Erlebnis- und mit ihm das Aussagesubjekt, das 
lyrische Ich, kann nur als ein reales und niemals ein fiktives vorgefunden werden. 
Denn es ist das konstituierende Strukturelement der lyrischen Aussage, das 
sich als solches nicht anders verhält als das der nicht-lyrischen, ebenso wie 
dieses ichaussagende und ichlose Sätze strukturiert. 
Dennoch unterscheidet sich nun auch das lyrische Aussagesubjekt von 
dem nicht-lyrischen; und dies nicht nur durch sein Verhalten zum Aus 
sageobjekt sondern dadurch, daß es differenzierter und empfindlicher ist als das 
mitteilende Aussagesubjekt — in demselben Maße, in dem die lyrische Aus 
sage selbst es ist. Das lyrische Ich kann sich als ein persönlich-individuelles 
darstellen, so daß wir, wie schon ausgeführt, nicht die Möglichkeit haben, 
über seine Identität mit dem Dichter, genauer eine hier ausgesagte Erlebnis 
identität, zu entscheiden. Überschreibt Theodor Storm seine erschütternde 
Totenklage 
Das aber kann ich nicht ertragen, 
Daß so wie sonst die Sonne lacht; 
Daß wie in deinen Lebenstagen 
Die Uhren gehn, die Glocken schlagen, 
Einförmig wechseln Tag und Nacht. 
• • • 
»Einer Toten«, so hat er den Ich- und Lebensbezug angegeben, die perso 
nale existentielle Situation, aus der sie hervorwuchs. Untersagt in einer lyri- 
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