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sehen Form unserer Zeit, dem Gedicht »Mit leichtem Gepäck« von Hilde
Domin, das lyrische Ich, sich Gewöhnung an ein Heim:
Gewöhn dich nicht.
Du darfst dich nicht gewöhnen.
Eine Rose ist eine Rose.
Aber ein Heim
ist kein Heim.
Ein Löffel ist besser als zwei.
Häng ihn dir um den Hals,
du darfst einen haben,
denn mit der Hand
schöpft sich das Heiße zu schwer.
Du darfst einen Löffel haben,
eine Rose,
vielleicht ein Herz
und, vielleicht,
ein Grab. (Rückkehr der Schiffe, S. 49)
so ist hier harte Erfahrung harter Ausdruck geworden, hinter dem Klage
auf klingt, obwohl oder weil sie nicht laut und nicht Laut wird. Der Lebens
bezug ist bei aller Unterschiedlichkeit der dichterischen Form nicht anders
da als in früher Zeit im Jubelgedicht Walthers:
Ich han min lehen, al die werlt 1 ich hän min lehen 1
nü enfürhte ich niht den hornunc an die zehen,
und wil alle boese herren deste minre flehen.
Wenn in solchen Gedichten — die natürlich nur beispielhaft für eine un
endliche Anzahl gleich oder ähnlich strukturierter stehen — das lyrische Ich
in einer persönlichen, ja mehr oder weniger autobiographischen Form er
scheint, so steht dazu das beschriebene Phänomen nicht in Widerspruch, daß
die lyrische Aussage nicht in einem Wirklichkeitszusammenhang fungiert,
keine Mitteilung ist. Was Goethe für seine Dichtererfahrung formuliert hat,
daß im Gedicht »kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so
wie er erlebt worden« 165 , gilt mit gradueller Unterschiedlichkeit für alle
Lyrik, und d. h. auch für alle noch so personale, Gedicht gewordene Lebens
erfahrung. Und auch dies Goethewort verbietet beides: die Identität des 166
166 Zu Eckermann (mit Hinsicht auf die »Wahlverwandtschaften«), 17. 2. 1830