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unendliche Gebiet der Aussagen auf ein System gebracht werden kann, das
sich mit Hilfe von wenigen, und zwar drei Kategorien oder Typen von Aus
sagesubjekten und eben damit von Aussagen selbst ordnen läßt. Die drei
Kategorien, die unterschieden werden können, bezeichne ich als 1. historisches,
2. theoretisches und 3. pragmatisches Aussagesubjekt.
Der Begriff historisches Aussagesubjekt ist in einem bestimmten Sinne zu ver
stehen. Es ist damit nicht ein im engeren Sinne Geschichtliches aussagendes
Aussagesubjekt gemeint, nicht z. B. der Verfasser eines Geschichtswerks.
Sondern es ist damit ein Aussagesubjekt bezeichnet, auf dessen individuelle
Person es wesensmäßig ankommt. Und das bedeutet auch, daß nicht eine zu
fällige Person, die etwa einen mathematischen Lehrsatz ausspricht, ein histori
sches Aussagesubjekt ist. — Am deutlichsten läßt sich die Beschaffenheit des
historischen Aussagesubjekts amBriefe erhellen als an einem schriftlichen Doku
ment, das nicht wie die mündliche Mitteilung und Kommunikation im Lichte
vielfältiger Situationen, Momente, Zwecke schwankt, sondern fixiert ist. Der
Briefschreiber ist ein Aussagesubjekt, auf dessen Person es immer ankommt,
weil der Brief eine ausdrücklich persönliche, von Person zu Person gerichtete
Mitteilung ist, auch dann, wenn sie einen vorwiegend sachlichen Inhalt hat.
Der Briefschreiber ist immer ein bestimmtes, individuelles, also im weitesten
Sinne >historisches< Aussagesubjekt, für dessen Person wir uns interessieren,
gleichgültig ob nur aus privaten oder aus allgemeineren, im engeren Sinne
>historischen< Gründen. Der Brief ist immer ein historisches Dokument, das
von einer individuellen Person Zeugnis gibt — und es bedarf ja der Erwähnung
nicht, daß jeder ursprünglich noch so private Brief als ein im engeren Sinne
historisches Dokument benutzt werden kann, als Quelle der geschichtlichen
Forschung jeder Art, wobei es wiederum gleichgültig ist, ob diese mehr der
Person des Briefschreibers oder den durch ihn etwa vermittelten Umständen
der Zeit, des Geschehens usw. gilt. Der Briefschreiber ist nur ein Beispiel für
das historische Aussagesubjekt; andere, verwandte sind die Aussagesubjekte
von Tagebüchern, Memoiren, kurz autobiographischen Dokumenten jeder
Art. Die Individualität, die für das historische Aussagesubjekt wesensbestim
mend ist, macht sich darin geltend, daß es als Ich auftritt. Aber damit ist nicht
gesagt, daß seine Aussage deshalb von ausgeprägter >Subjektivität< sein muß.
Die Subjekt-Objekt-Relation der Aussage ist nicht durch die Ichform kon
stituiert oder auch nur beeinflußt, sondern unterliegt anderen, im Wesen der
Aussage gelegenen Gesetzmäßigkeiten, die unten dargestellt werden. Ja, es
wird sich zeigen, daß die Aussage eines theoretischen Aussagesubjekts sub
jektiver sein kann als die eines historischen, sich in der Ichform darstellenden.