dazu verleiten, eine Aussage nur dann als Wirklichkeitsaussage zu bezeichnen,
wenn sie ein Wirklichkeitsdokument ist, d. h. wenn das Aussageobjekt ein
solches empirischer Wirklichkeit oder, im Falle theoretischer Aussagen, ein
abstrakter, >idealer< Gegenstand ist. Auch ein mathematischer Satz wäre natür
lich in diesem Sinne eine Wirklichkeitsaussage, ja, wir können sagen: in allen
Fällen, wo einem Sachverhalt Wirklichkeit zugeschrieben wird, welcher Art
diese auch sei — sinnlicher oder übersinnlicher, materieller oder geistiger Art —
könnte eine Aussage darüber als Wirklichkeitsaussage bezeichnet werden.
Dennoch ist der Charakter der Aussage als Wirklichkeitsaussage nicht in der
Wirklichkeit des Aussageobjekts begründet. Verhielte es sich so, würden sich
sogleich Schwierigkeiten zeigen und die Definition sich ins Ungenaue ver
lieren. Dies schon deshalb, weil der Begriff Wirklichkeit allen möglichen —
physikalischen, erkenntnistheoretischen, ontologischen und metaphysischen —
Auffassungen und Bestimmungen unterliegt und die von uns behauptete und
nachzuweisende Definition aller Aussage als Wirklichkeitsaussage auf Un
stimmigkeiten stieße. Ja, diese Definition würde schon dann scheitern, wenn
das Aussageobjekt ein nachweisbar >unwirkliches< ist, z. B. ein Traum, eine
Phantasie, eine Lüge. Daß aber auch eine solche >Unwirklichkeitsaussage<
immer noch und unter allen Umständen eine Wirklichkeitsaussage ist — das
eben beruht darauf, daß nicht das Aussageobjekt, sondern das Aussagesubjekt
der dafür entscheidende Faktor ist. Aussage ist immer Wirklichkeitsaussage, weil
das Aussagesubjekt wirklich ist, weil, mit anderen Worten, Aussage nur durch ein reales,
echtes Aussagesubjekt konstituiert wird. Und der Begriff der Realität, der in diesem
Zusammenhang auftritt, unterliegt nicht mehr verschiedenen erkenntnis
theoretischen Auffassungen, sondern ist nur in einem eindeutigen Sinne zu
verstehen, der in dem des Subjekts selbst begründet ist, oder genauer: von dem
Subjekt nur in diesem eindeutigen Sinne gilt. Erst wenn über den Begriff der
Wirklichkeit Klarheit geschaffen ist, der das Aussagesubjekt betrifft, kann die
Struktur der Aussage als Wirklichkeitsaussage erhellt und d. h. auch das
Subjekt-Objekt-Verhältnis, eben die schon behauptete Unabhängigkeit des
Objekts von seinem Ausgesagtsein völlig analysiert werden.
Es ist aber letztlich nur ein Kriterium, das die Wirklichkeit des Aussage
subjekts erweist: dies, daß wir die Frage nach seinem Ort in der Zeit stellen können,
auch wenn, des Charakters der jeweiligen Aussage wegen, keine bestimmte
Antwort darauf gegeben werden kann oder die Frage irrelevant ist. Dies zeich
net sich schon ab, wenn wir auch nur auf die drei Kategorien der Aussage
subjekte, die historische, theoretische und pragmatische, einen Blick werfen.
Es ist deutlich, daß das Moment der Realität in diesen Subjektkategorien schon
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