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liehe Wirklichkeit bestimmt sich primär am Maßstab der Zeit, ist chronologisch,
nicht topographisch strukturiert. Die Zeit ist als Faktor der Lebenswirklichkeit
zwar abstrakter, aber mächtiger und bestimmender als der Raum, existentieller,
wenn man will. Und es ist deutlich, daß ein sprachliches Strukturelement wie
das Aussagesubjekt allein durch die Zeitkoordinate des Zeit-Raum-Systems in
seiner Realität zu bestimmen ist. Im Grade der Abstraktheit nimmt das Aus
sagesubjekt eben dadurch eine mittlere Stellung zwischen dem handelnden
und dem erkennenden Subjekt ein. Für das handelnde Subjekt ist der Raum
eine ebenso notwendige Bedingung seiner Wirklichkeit wie die Zeit, die Frage
nach dem Wo ebenso wichtig wie die nach dem Wann. Unabhängig von Zeit
und Raum ist dagegen das auf abstrakte Phänomene gerichtete Erkenntnis
subjekt, und schon wenn es als theoretisches Aussage Subjekt auftritt, stellen wir
die Frage nach seinem Ort in der Zeit nicht oder nur unter bestimmten Aspek
ten.
Die Möglichkeit der Frage nach seinem Ort in der Zeit weist das Aussage
subjekt als reales aus, was, wie nochmals betont sei, nichts anderes bedeutet,
als daß alle Aussage Wirklichkeitsaussage ist. Eben darin aber ist die Subjekt-
Ob je kt-Struktur begründet, die die Aussage und damit unser sprachlich-
aussagendes Leben überhaupt prägt. Subjekt-Objekt-Struktur aber besagt
wiederum, daß das Subjekt von dem Objekt aussagt, eine Formulierung, die
dasselbe meint wie, daß das Objekt unabhängig davon >ist<, ob von ihm aus
gesagt wird oder nicht. Und es zeigte sich schon an den obigen Analysen, daß
dieses Unabhängigsein nicht gleichbedeutend mit der Wirklichkeit, oder besser
einer so oder so bestimmten Wirklichkeit des Objekts ist. Daß ein mathemati
sches Gesetz ebenso unabhängig davon >ist<, ob es in einem Satze formuliert
ist oder nicht, wie ein reales Ding oder Geschehen davon, ob darüber aus
gesagt wird oder nicht, bedarf keiner Erörterung. Nur ein Fall bedarf in die
sem Zusammenhang und zur Vermeidung von Mißverständnissen noch der
Klärung: eben der Fall, in dem offenbar das Aussageobjekt nicht unabhängig
von seinem Ausgesagtsein ist oder zu sein scheint: eine Phantasie oder selbst
eine Lüge. Wir brauchen zur Klärung dieses Falles nicht mehr den Begriff der
Wirklichkeit bzw. Unwirklichkeit selbst heranzuziehen, weil, wie schon aus
geführt, dieser als Seinsbestimmung problematisch ist und verschieden inter
pretiert werden kann. Wie aber verhält es sich mit einem phantasierten oder
erlogenen Sachverhalt, der doch offenbar nicht unabhängig von dem phanta
sierenden oder lügenden Aussagesubjekt >ist<, sondern sozusagen von ihm her
vorgebracht ist? Das Kriterium ist hier in der Tat nicht die Beschaffenheit
des Aussageobjekts an sich. Diese nämlich kann geprüft, der phantasierte