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Gehoffte auch gesagt, geäußert ist, wenn ich von einer Person berichte, daß
sie dies und das gedacht, gehofft, geglaubt habe. Aus diesem Grunde rückt
daher auch das Verb sagen in der Fiktion in eine Ebene mit den Verben der
inneren Vorgänge, und als das am häufigsten vorkommende vermittelt es,
dazu im Zusammenhang mit der direkten Rede, die es einleitet, den sich am
stärksten aufdrängenden Eindruck der Fiktion. Er sagte, sie sagte, bedeutet
in der epischen Fiktion nicht, daß jemand, »der Erzähler« in indirekter
Form wiedergibt was er oder sie »gesagt hat«, sondern läßt die Gestalt als
eine sagende, ebenso wie durch die anderen Verben der inneren Vorgänge
als denkende, glaubende, hoffende erlebbar werden. Es hat daher seine Be
deutung, wenn sich in unserem Hochwald-Beispiel das fiktionale Präteritum
zuerst an das Verb sagen knüpft und durch es das paradox anmutende Ver
hältnis herstellt, daß das Präteritum den Eindruck der >Vergegenwärtigung<
erzeugt. Ehe wir dieser, in noch tieferen Schichten als den bisher aufgedeck
ten wurzelnden Bedeutung nachgehen, müssen wir das Verhalten des fiktio-
nalen Präteritums noch weiter untersuchen.
Die erlebte Rede
Die Verben der inneren Vorgänge, und nicht zuletzt das Verb »sagen«,
die also das entscheidende Indizium für das Verschwinden der präteritiven
Bedeutung des Präteritums sind, deuten nun auch schon auf das Phänomen
der erzählenden Dichtung hin, das vielleicht erstmalig überhaupt die Sprach-
und Literaturtheorie ein Problem in dem vermeintlichen Vergangensein
(oder Als-vergangen-gedacht-Sein) der epischen Handlung spüren ließ: die
sogenannte >Erlebte Redet. Gerade die Imperfektform dieser Wiedergabe
des unformulierten Bewußtseinsstroms in der dritten Person ist ihr ein Pro
blem gewesen 68 . Seine Auflösung gelang darum nicht, weil der Unterschied
zwischen Wirklichkeitsaussage und fiktionalem Erzählen und die darin ge
gründete Bedeutungsveränderung des Präteritums nicht bemerkt worden
war. Die erlebte Rede ist aber die äußerste Konsequenz der Verben der
inneren Vorgänge. Noch deutlicher als diese klärt sie darüber auf, daß in
68 Es sei erinnert an die in den zwanziger Jahren zwischen den Romanisten Ch. Bally,
Th. Kalepsky, E. Lerch in GRM V, VI (1912/14) geführte Diskussion und deren Darstellung
in E. Lorck, Die erlebte Rede (1921), sowie Walzels Beitrag dazu in »Das Wortkunstwerk«
(1926). Ferner G. Storz, Uber den >monologue interieur< oder die >Erlebte Rede< (Der Deutsch
unterricht, 1955, H. 1, S. 45ff.). Über englischsprachige Theorien vgl. Dorrit Cohn, Narrative
Monologue, Definition of a Fictional Style (in: Comparative Literature, Vol. XIII, 1966,
Nr. 2, S. 97—112).