Full text: Die Logik der Dichtung

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und Graden der Dichtung liefert. Nur aber dann kommt die fiktive Zeit, 
die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der Romanpersonen zum Er 
lebnis, wenn sie als solche gestaltet ist, wenn sie durch erzählerisch-darstel 
lerische Mittel herausgearbeitet ist. Ebenso wie der Raum nur dann im Ro 
man erscheint, wenn er erzählt ist. Nicht alle Erwähnung zeitlicher Mo 
mente in der erzählenden (aber ebenso auch der dramatischen) Dichtung 
darf aber schon als >Zeitgestaltung< bezeichnet werden. Da Ereignisse, 
Handlung, Leben sich in der Zeit vollziehen, sind Zeitangaben mit dem 
Gange der Handlung mitgegeben, ohne daß sie deshalb bedeutungsvoller, 
thematischer zu sein brauchen als etwa die Richtungsangaben für den Raum. 
Fiktive Gegenwart wird gewiß durch die deiktischen Zeitadverbien heute, 
morgen kenntlich gemacht, wie die fiktive Vergangenheit durch die Ver- 
gangenheits-, die fiktive Zukunft durch Zukunftsadverbien, oder auch andere 
darstellerische Mittel. Aber — worauf es für unsere Zusammenhänge nun 
ankommt — eine große Masse erzählender Dichtung macht keine fiktive Zeit 
kenntlich. Sie >vergegenwärtigt< ohne Bezugnahme auf eine temporale Ge 
genwart, Vergangenheit oder Zukunft der epischen Gestalten. Dies sei an 
einem Textstück gezeigt, das gerade wegen der Zeitangabe die es enthält, 
dafür besonders aufschlußreich ist. Die Rahmenerzählung von Kellers 
»Züricher Novellen« beginnt mit dem folgenden Satze: 
Gegen das Ende der achtzchnhundertzwanziger Jahre, als die Stadt Zürich mit weitläufi 
gen Festungswerken umgeben war, erhob sich an einem hellen Sommermorgen mitten in 
derselben ein junger Mensch von seinem Lager, der von den Dienstboten des Hauses bereits 
Herr Jacques genannt und von den Hausfreunden einstweilen geihrzt wurde, da er für das 
Du sich als zu groß und für das Sie sich noch zu unbeträchtlich darstellte. 
Nichts scheint die Meinung, daß eine Romanhandlung als vergangen ge 
dacht und darum im Präteritum erzählt sei, besser zu bestätigen als dieser 
Text. Wann spielt sie sich ab ? Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts. 
Fragen wir aber weiter: was geschah da? Ein junger Mensch erhob sich von 
seinem Lager. Fragen wir umgekehrt: wann erhob sich der junge Mensch von 
seinem Lager ?, so hätten wir zu antworten: gegen Ende der achtzehnhundert- 
zwanziger Jahre an einem hellen Sommermorgen. Indem wir diese Ant 
worten geben, bemerken wir, daß sie inadäquat sind. Die Frage »wann ge 
schah das?« scheint irgendwie nicht zu dem Verb zu passen, in bezug auf 
welches die temporale Frage gestellt ist. Verben wie: sich (vom Lager, von 
einem Stuhl) erheben, gehen, sitzen, eine unruhige Nacht haben — »denn er 
hatte eine unruhige Nacht zugebracht« heißt es in unserem Text gleich an 
schließend — usw., wenden wir nicht an, wenn wir Aussagen über weit
	        

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